πŸŽ„ Das Weihnachtsfest | eine Kurzgeschichte zu Weihnachten

Das Weihnachtsfest - Kurzgeschichte
Novellen - Kurzgeschichten - BΓΌcher - Daniela Noitz

Nun war Weihnachten gekommen. Nun waren allerhand Verkaufsbuden in der Stadt am Markt aufgeschlagen, woran auch Mathilde neugierig und staunend stand. Nun ließ sie nicht locker abends, wenn sie aus der Fabrik entlassen waren, Saleck am Arme festzuhalten, bis er mit ihr durch die Straßen ging, die wie ein Fest-Haus erleuchtet waren, und im Schneeflockenfall selbst Strahlen und Glanz warfen. Nun stand sie und hatte großes, kindliches Staunen in ihren hellen Augen, wenn sie die blitzenden Kleinodien unten im Schaufenster des Juweliers anstarrte, oder vor den zarten Schleierroben stand, die der KonfektionΓ€r ΓΌber StΓΆcke gezogen und in voller Figur ins Schaufenster gestellt hatte, von allen Seiten beleuchtet und glitzernd wie mit Tau besΓ€t. Sie lachte und freute sich, weil ihr auch die Spinnennetze einfielen, die in freier Wiese und am Waldrande gelegen – und „noch tausendmal schΓΆner waren“, sagte sie. Und dann standen sie auch vor dem billigen Laden, und Saleck horchte, ob sich Mathilde nicht irgendwie verraten wollte. Denn er war ganz nur sie in allem. Und er wollte sie jetzt aushorchen, um ihr daheim im StΓΌbel ein Tischchen zu decken.

„Hahaha, ’n Sonnenschirm wie den“ – es war tiefer Winter. Wie Mathilde grade auf den Sonnenschirm kam, begriff er nicht. Es mochte ihr dΓΌnken, daß es besonders wertvolle Leute wΓ€ren, die Zeit hatten, die Sonne abzuhalten, daß sie nicht die Haut zu sehr brenne. Sie dachte wohl auch an den feinen Wagen des Direktors, in dem junge FrΓ€uleins in losen, heiteren GewΓ€ndern und mit seidenen, bunten Spitzenschirmen zurΓΌckgelehnt aus dem Parktor ausgefahren waren. Einen Sonnenschirm schien sie zu wollen, und Saleck war heimlich glΓΌcklich, daß er es wußte. Er nahm sich extra eine Freistunde vom Portier und kaufte ihn heimlich und ließ ihn dann in sein StΓΌbel schicken. Ganz selbstbewußt sagte er: „Wenn ich noch nicht daheim bin, soll ihn die Wirtin in Empfang nehmen.“ So ging es einige Male, wenn sie nun ihren Feierabend unter den Schaufensterschimmern in der Stadt umgingen, Schritt um Schritt in der Menge, gar nicht aus dem Staunen kommend, da und dort auch einen kindlichen Freudenruf ausstoßend.

Und heut war der Freitag – vor dem Feste -, der letzte Tag, denn auf Freitag fiel der heilige Abend. Die Fabrikherren hatten allen einen halben Tag Arbeit geschenkt und hatten schon um Mittag Schluß gemacht. Alles strΓΆmte heute aus den Toren heraus mit einem ganz anderen Gesichte. Mein Gott – wie ein heiteres GefΓΌhl doch soviel GlΓΌck und Leuchten in die Augen und Wangen der Menschen bringen kann. Man sah fast gar keine Sorge mehr, gar keine Rohheit in jungen Gesichtern, die sonst frech und hΓΆhnisch miteinander sich trafen und mit gemeinen Worten nach einander warfen; gar kein Scheelsehen, wenn jetzt Mathilde froh und frei herbeischritt, und keinen Spottblick auf den Huckigen, der neben ihr ging, fast mit kΓΌrzeren Schritten. Gar nichts merkte man, daß die Arbeit eintΓΆnig und ermΓΌdend gewesen, aus der sie kamen, als wenn alle eingeladen wΓ€ren, festlich zu sein – und Freund und Bruder wΓ€ren -, und nichts sich befehdete und beleidigte in ihren Seelen. Selbst der Portier gab allen einen freundlichen Gruß. Die Werkmeister standen schmunzelnd noch im Hof und reichten gar alten Arbeitern die Zigarren zum AnzΓΌnden und riefen sich GlΓΌcksworte zu, daß das Fest sollte ein Freudenfest sein. – Und der Herr kam auch und konnte nicht genug den Hut lΓΌften vor jedermann, der vorbeischritt, und wie der Portier ihm zusprang, tat er es auch, als wenn er sagen wollte: „Oh, wie gerne – wie schΓΆn ist es“ – und hatte ein freundliches Lachen im Gesicht, das jener ebenso erwiderte. Es war wirklich wie Weihnachten.

Mathilde war schon am Mittag heimgekommen und hatte Saleck ausdrΓΌcklich gesagt, daß er erst gegen Abend kommen dΓΌrfte. Sie wollte sich einmal grΓΌndlich reinigen. Sich und ihre Sachen ins Reine bringen, wenn nun Feiertage kΓ€men. Und auch das StΓΌbel reinigen, daß sie dann abends bei dem brodelnden Topfe sitzen kΓΆnnten, und die gewaschene Ofenbank und der weiße Tisch, alles um sie auch reden sollte: heut ist ein Fest. An weiteres hatte sie nicht gedacht. Daß dann Saleck kommen und ihr alles mΓΆgliche bringen wΓΌrde, „oh, nee, mit keener Silbe!“ – Zu wΓΌnschen war sie wohl kaum gewΓΆhnt. Wenn sie ein Erstaunen hatte laut werden lassen, war es noch lange kein Wunsch gewesen – gar noch einer, der sich erfΓΌllen sollte. Sie lachte ganz aus dem Grunde im Wesen, wie sie auch aus dem Wesensgrunde weinen konnte. Es war fast ein Leiden ihr Lachen, wie sie Saleck einen Augenblick, ja fast schließlich einen ganz unaushaltbaren Augenblick hinausgeschickt, um ihr Tischchen aufzubauen, worum er Reiser gelegt, und sie dann erstaunt eintrat -: als wenn sie einen Augenblick in ein Paradies hineinsΓ€he, wo alles zu liegen schien, was ihr Herz begehren kΓΆnnte – ein feiner Schirm sogar, ein Schirm und ein paar ganz feine Schlafschuhe, bunt innerlich und weich, „fΓΌr Füßchen“, sagte sie ein ΓΌber das andere Mal ganz ernst. – Und sie lachte, wie sie es anschaute, ohne es zu berΓΌhren, ganz erschrocken, fast so krampfhaft auf einmal, daß es ihr wie ein Bleichgewordensein plΓΆtzlich einen Strom von TrΓ€nen hervorpreßte, solche WundertrΓ€nen, solche FreudentrΓ€nen. Oh, sie liebte Saleck – sie liebte ihn. Solche TrΓ€nen waren ihr nie aus den Augen gesprungen. Und sie stand und starrte und umarmte ihn leise, fast wußte er nicht mehr, ob es im Leide war. Und sie trocknete sich die TrΓ€nen schnell und ging weg an den Herd und wagte nichts zu nehmen – bis ihre Bewegung langsam schwand. Dann erst sch alt sie ihn leise und war zΓ€rtlich und sah alles nacheinander an und begriff noch immer wieder nicht, daß jemand ihr das brachte.

Und wie sie so stumm voreinander saßen, im GlΓΌck, kam Frau Weber, reinlich und sorglich gekleidet, und fragte, ob sie nicht hinΓΌberkommen mΓΆchten, beide – denn Vater Weber hΓ€tte es gern, sie wΓ€ren im Leben fromm gewesen und wollten heute mit den Jungen Weihnacht feiern. Da erhoben sie sich, so andΓ€chtig und feierlich wie nie im Leben. Es war fast ein Zittern in ihrer Brust, daß Mathilde sich hinter Saleck drΓΌckte und nicht recht atmen konnte, wie sie eintraten – wo der Alte – ein mΓ€chtiges graues Haupt noch voll von Haaren und einem grauen Kranz voll straffer Borsten um Wangen und Kehle, sonst runzlich – aber in seinen Augen auch jene Feierfreude, die in allen rΓ€tselhaft durchs ganze Land glΓ€nzte – wo der alte Mann, der sich nicht mehr erheben konnte, ihnen entgegenlachte, sie einzuladen.

„Kommen Sie“, sagte er. Mathilde trat ganz schΓΌchtern ein – und Saleck sagte nur steif: „SchΓΆn guten Abend – stΓΆren wir nicht?“

„Oh“, sagte der Alte lachend – „ich bin fast fΓΌnfundachtzig, aber es ist ja Weihnachten – es ist ja heiliger Abend.“

Und Frau Weber rΓΌckte dem Alten die Lampe nahe vors Gesicht, der gleich ein großes Glas vors Auge genommen und ernst ins Bibelbuch hineingesehen – so daß Saleck und Mathilde auch ohne weitere Worte begriffen hatten, worum es sich handelte; und wΓ€hrend sie zΓΆgernd Platz genommen, und Frau Weber einen kleinen Lichterbaum entzΓΌndete, der auf dem Schube zu strahlen begann, klangen des alten Weber Worte laut und mit zitternder Freude:

„Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging, daß alle Wett geschΓ€tzet wΓΌrde. Und diese SchΓ€tzung war die allererste, und geschah zu der Zeit, Cyrenius Landpfleger in Syrien war. Und Jedermann ging, daß er sich schΓ€tzen ließe, ein jeglicher in seiner Stadt. Da machte sich auch auf Joseph aus GalilΓ€a, aus der Stadt Nazareth, in das jΓΌdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum, daß er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf daß er sich schΓ€tzen ließe mit Maria, seiner Verlobten. Die war schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, daß sie gebΓ€ren sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn, und wickelte ihn in Windeln, und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den HΓΌrden und hielten ihre Nachtwachen bei ihrer Heerde. Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie, und sie fΓΌrchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: FΓΌrchtet euch nicht, siehe, ich verkΓΌndige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird; denn euch ist heute ein Heiland geboren, welches ist Christus der Herr in der Stadt Davids. Und dies ist das Zeichen fΓΌr euch, ihr werdet finden ein Kind in Windeln gewickelt, und in einer Krippe liegend. Und aIsobald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott, und sprachen: Ehre sei Gott in der HΓΆhe, und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen.“

Mathilde bebte. Sie wußte gar nicht, daß sie jemals diese Geschichte gehΓΆrt hatte – solch ein Wunderbares klang eindringlich darin, solch eine Kraft lag in den Gesichtern, wie da die Hirten schlafen im weiten, einsamen Felde unter ihrer schlafenden Herde. Und aus der Nacht und dem Dunkel ein einziger Strahl herniederbricht zu den wenigen WΓ€chtern, und ein Engel durch die Wolken licht herniedersteigt, der ihnen, den armen Hirten, verkΓΌndend sagt: „FΓΌrchtet euch nicht. Ich verkΓΌndige euch große Freude.“ Und Mathilde war es, als ob sie alles um sich vergessen hΓ€tte, und ihre Seele befreit wΓΌrde von aller Furcht. Eine solche Hoheit umfloß sie aus jenen zitternden Freudenworten, die im Raume klangen, wo nur Frau Weber mit gefalteten HΓ€nden saß, wie mit weiten Augen in Licht sehend, und Saleck saß, der jede Silbe hastig von des alten mΓ€chtigen Tischlers Lippen sog -, der tief und voll zu reden fortfuhr. Er hatte jetzt die Bibel beiseite geschoben und begann, freie Worte zu machen, die klangen, als wenn sie von weit herkΓ€men und nicht allein aus seinem Munde und Herzen, aus Tausenden und Millionen – durch alle Zeiten der Menschheit hindurch – und er sagte – immer noch, als wenn ein Funkeln GlΓΌckes und Staunens und seliger Dank aus seinen Augen und Mund empor ging, obwohl gar kein LΓ€cheln seine ZΓΌge umspielte: „Das ist das Wunder, daß Christus ein Christkind ward. – Wie wundersam, daß Christus ein Kind ward, im Stalle geboren, und ein Stern aus der HΓΆhe darΓΌber leuchtete. Die Kindschaft Christi ist das wahre Wunder – und ewig auch daraus die Verheißung, daß wir zu Kindern werden mΓΌssen, um zu Gott zurΓΌckzukommen, daß ewig Gott zum Kinde wird. Alle Verheißung liegt im Kinde. Die Anbetung des Kindes: welche Schrecken erfassen mich, wenn ich an eine Familie denke, die in den Γ–den des Lebens hoffnungslos und heimatlos einhergeht, gescheucht und verarmt, zur Herberge in eine m Stalle, und die nun anbetend kniet vor einem Kinde, ΓΌber dem ein Stern aus der HΓΆhe leuchtet. Es ist ein Fluch, wenn wir hart werden, starr werden, und wenn wir nicht immer wieder einmal werden wie die Kinder…“ Und er wiederholte es, und alle empfanden das Wunder, daß wir noch immer an der Krippe stehen, wo ein armes Kind aus der Wiege blickt, die ewige Hoffnung. Und Mathilde begriff es ganz, was sie niemals begriffen. Es durchschauerte sie. Und Saleck dachte an Mathilde und sah, wie sie dasaß, als wenn tausendmal der Himmel geΓΆffnet wΓ€re und Hoffnungen, die sie nie gesehen, sich aufgetan. Ihr Herz war zum Springen. Sie lauschte demΓΌtig, und ihr Herz war zum Springen; und sah den Alten an und sog auch wie Saleck seine Worte vom Munde, – bis er schwieg – und alle lange schwiegen. Und „Stille Nacht“ erklang es aus den verwelkten Lippen, worein auch wieder die zitternde, hohe Stimme der Alten einfiel -, fromm und zufrieden, daß selbst Saleck ganz erschΓΌttert einzustimmen wagte, und Mathilde bebend sang, ohne noch zu weinen – und dann beide sich demΓΌtig, wie vor einem Vater und einer Mutter beugten und dankten, mit fast erstickten Worten.

Auch in Mathildes TrΓ€ume klang es nach, daß sie im Traume so inbrΓΌnstig weinte vor Staunen und Freude, bis sie von ihren TrΓ€nen erwachte und – noch immer die Musik der himmlischen Heerscharen und die VerkΓΌndigung an die armen, einsamen Hirten im Grunde – froh und jubelnd ins Dunkle, Einsame emporsah. Denn da in der Tiefe auch des Armen leben alle VerkΓΌndigungen.

Carl HauptmannΒ 

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