Eine Geschichte von Hans Christian Andersen

Eine Geschichte von Hans Christian Andersen
Novellen - Kurzgeschichten - Bücher - Daniela Noitz

Im Garten standen alle Apfelbäume in Blüte; sie hatten sich beeilt, um Blüten zu bekommen, ehe die grünen Blätter kamen. Im Hofe waren alle Enten draußen und die Katze auch. Sie schleckte wohl wirklich den Sonnenschein! Sie schleckte ihn von ihrer eigenen Pfote. Und sah man übers Feld hin, da stand das Korn so herrlich und grün, und es war ein Zwitschern und Quinquilieren bei all den kleinen Vögeln, als ob ein großes Fest sei; und das konnte man wohl auch sagen, denn es war Sonntag. Die Glocken läuteten, und die Leute gingen in ihren schönsten Kleidern zur Kirche und alle sahen fröhlich aus. Ja, an jedem Ding war auch etwas Erfreuliches und es war ein Tag, so warm und hell, dass man wohl sagen konnte: „Der liebe Gott ist wahrhaftig grenzenlos gut gegen uns Menschen.“

Aber in der Kirche drinnen stand der Pfarrer auf der Kanzel und sprach so laut und böse. Er sagte, dass die Menschen so gottlos seien und dass Gott sie dafür strafen würde, und wenn sie gestorben seien, kämen die Bösen hinab in die Hölle, wo sie ewig brennen müssten. Und er sagte, dass der nagende Wurm in ihnen nie sterben würde, nie würden die Feuer dort unten gelöscht werden und niemals fänden sie Rast oder Ruh. Das war gar grässlich anzuhören und er war seiner Sache so gewiss. Er beschrieb ihnen die Hölle wie eine stinkende Höhle, in der der Schmutz der ganzen Welt zusammenflösse, da wehte kein Lüftlein, nur die heiße Schwefelflamme, da wäre kein Boden, sie sänken und sänken, tief in ein ewiges Schweigen. Allein schon das Hören war schauerlich, aber dem Pfarrer kam alles dies überzeugend aus tiefstem Herzensgrund, und alle Leute in der Kirche entsetzten sich. Aber draußen sangen all die kleinen Vögel so fröhlich, und die Sonne schien so warm, es war, als ob jede kleine Blume sagen wollte: Gott ist so unendlich gut gegen uns aller – ja, draußen war es gar nicht so, wie es der Pfarrer gepredigt hatte.

Am Abend zur Schlafenszeit sah der Pfarrer seine Frau still und gedankenvoll dasitzen.

„Was fehlt Dir?“ fragte er sie.

„Ja, was fehlt mir eigentlich,“ sagte sie, „mir fehlt, dass ich nicht recht meine Gedanken sammeln kann, dass es mir nicht recht stimmen will, was Du sagst, dass es so viele Gottlose gäbe, die ewig brennen müssten, ewig – ach, wie lange. Ich bin nur ein sündiger Mensch, aber ich könnte es nicht über mein Herz bringen, selbst den schlimmsten Sünder ewig brennen zu lassen; wie wollte es da der liebe Gott können, er, der so unendlich gut ist, er, der weiß, wie das Böse von außen und innen an uns herantritt. Nein, ich kann es mir nicht denken, obwohl Du es sagst.“

Es war Herbst. Das Laub fiel von den Bäumen; der ernste, strenge Pfarrer saß am Bette einer Sterbenden. Eine fromme Gläubige schloss ihre Augen; es war die Pfarrerin.

„Findet jemand Frieden im Grabe und Gnade bei Gott, so bist Du es!“ sagte der Pfarrer, und er faltete ihre Hände und sprach ein Gebet über die Tote.

Sie wurde zu Grabe getragen; zwei schwere Tränen rollten über die Wangen des ernsten Mannes nieder. Im Pfarrhofe war es stille und leer; der Sonnenschein darin war erloschen, sie war ja fortgegangen.

Es war Nacht. Ein kalter Wind blies über das Haupt des Pfarrers; er schlug die Augen auf und es war, als ob der Mond in seine Stube hereinscheine, aber der Mond schien nicht. Eine Gestalt war es, die vor seinem Bette stand; er sah den Geist seiner gestorbenen Frau. Sie blickte ihn so tief betrübt an, es war, als wolle sie etwas sagen.

Und der Mann richtete sich halb empor und streckte die Arme nach ihr aus. „Auch Dir ist nicht die ewige Ruhe vergönnt? Du leidest? Du, die Beste, die Frömmeste?“

Und die Tote neigte ihr Haupt zu einem ja und legte die Hand auf die Brust.

„Kann ich Dir die Ruhe im Grabe geben?“

„Ja“ tönte es.

„Und wie?“

„Gib mir ein Haar, nur ein einziges Haar vom Haupte eines Sünders, für den das Feuer nie erlöschen soll, des Sünders, den Gott in die Hölle zu ewiger Pein hinabstoßen will.“

„Ja, so leicht konntest nur Du erlöst werden, Du Reine, Du Fromme“ sagte er.

„So folge mir!“ sagte die Tote. „So ist es uns vergönnt. An meiner Seite schwebst Du, wohin Deine Gedanken es wollen. Unsichtbar für die Menschen stehen wir vor den heimlichsten Kammern ihres Herzens, aber mit sicherer Hand musst Du auf den zu ewiger Qual Verdammten zeigen, und vor dem Hahnenschrei muss er gefunden sein.“

Und hurtig, mit Gedankenschnelle, waren sie in der großen Stadt. Von den Wänden der Häuser leuchteten mit feurigen Buchstaben die Namen der Todsünden: Hochmut, Geiz, Trunksucht, Wollust, kurz, der ganze siebenfarbige Bogen der Sünde.

„Ja, dort drinnen, wie ich es glaube, wie ich es wusste,“ sagte der Pfarrer, „hausen die dem ewigen Feuer Geweihten.“ Und sie standen vor einem prächtig erleuchteten Portal, wo breite Treppen mit Teppichen und Blumen geschmückt waren und durch die festlichen Säle Ballmusik erklang. Der Schweizer stand davor in Sammet und Seide mit einem großen silberbeschlagenen Stock.

„Unser Ball kann sich mit dem des Königs wohl messen!“ sagte er und wandte sich dem Straßenpöbel zu; von Kopf zu Fuß leuchtete ein Gedanke aus ihm: „Elendes Pack, das hier zur Pforte hereingafft! Gegen mich seid Ihr alle Kanaillen.“

„Hochmut“ sagte die Tote, „siehst Du ihn?“

„Ihn,“ wiederholte der Pfarrer, „ja aber er ist ein Tropf, ein Narr nur, er wird nicht zu ewigem Feuer und ewiger Pein verdammt werden.“

„Ein Narr nur“ erklang es durch das ganze Haus des Hochmuts, das waren sie alle darin.

Und sie flogen in die nackten vier Wände des Geizigen hinein, wo dürr und klappernd vor Kälte, hungrig und durstig, sich ein Greis mit allen seinen Gedanken an sein Gold klammerte. Sie sahen, wie er im Fieber von dem elenden Lager sprang und einen losen Stein aus der Mauer nahm. Da lagen Goldstücke in einem Strumpfe. Er tastete sein lumpiges Hemd ab, in das Goldstücke genäht waren, und die feuchten Finger zitterten.

„Er ist krank. Das ist Wahnwitz, ein freudloser Wahnwitz, umringt von Angst und bösen Träumen.“

Und sie entfernten sich hastig und standen vor der Pritsche der Verbrecher, auf der sie in langer Reihe, Seite an Seite, schliefen. Wie ein wildes Tier fuhr einer aus dem Schlafe empor, einen häßlichen Schrei ausstoßend; er schlug mit seinen spitzen Ellenbogen nach seinem Kameraden; der wandte sich schläfrig um:

„Halts Maul, Du Vieh, und schlaf – das ist jede Nacht –!“

„Jede Nacht“ wiederholte der andere, „`ja jede Nacht kommt er und heult und würgt mich. In der Hitze habe ich manches getan, der zähe Zorn ist mir angeboren, der hat mich nun das zweite Mal hier herein gebracht. Aber habe ich schlecht getan, so habe ich nun meine Strafe. Nur eins habe ich nicht bekannt. Als ich das letzte Mal hier heraus kam und am Hofe meines letzten Herrn vorbeikam, kochte es in mir empor – ich strich ein Schwefelholz an der Mauer an, dort wo das Strohdach anstößt. Alles brannte; die Hitze fiel darüber her, wie sie über mich herfällt. Ich half das Vieh und die Bewohner retten. Nichts Lebendes verbrannte außer einer Schar Tauben, die ins Feuer hineinflogen, und dann der Kettenhund. An den hatte ich nicht gedacht. Man konnte ihn heulen hören – und dies Heulen höre ich noch immer wenn ich schlafen will. Und kommt endlich der Schlaf, dann kommt auch der Hund, groß und zottig. Er legt sich über mich, heult, und drückt und erwürgt mich. So hör doch, was ich erzähle! Schnarchen kannst Du, schnarchen die ganze Nacht, und ich nicht eine kurze Viertelstunde.“ Und das Blut stieg dem Hitzigen zu Kopfe, er warf sich über den Kameraden und schlug ihn mit der geballten Faust ins Gesicht.

„Der wütende Mads ist wieder verrückt geworden.“ rief es ringsumher, und die anderen Verbrecher fassten ihn, rangen mit ihm und bogen ihn krumm, dass der Kopf zwischen den Beinen saß. Dort banden sie ihn fest. Das Blut sprang ihm fast aus den Augen und allen Poren.

„Ihr tötet ihn“ rief der Pfarrer, „den Unglücklichen.“ Und indem er abwehrend die Hand über den Sünder hinstreckte, der schon hier zu hart leiden musste, es wechselte die Szene. Sie flogen durch reiche Säle und durch ärmliche Stuben; Wollust, Missgunst, alle Todsünden schritten an ihnen vorbei. Ein Engel des Gerichts verlas ihre Sünden und ihre Verantwortung. Die war zwar gering vor Gott, aber Gott liest in den Herzen, er kennt alles, das Böse das von außen und das, was von innen kommt, er, der Gnädige und Alliebende.

Des Pfarrers Hand zitterte, er wagte sie nicht auszustrecken, nicht ein Haar von des Sünders Haupt zu reißen. Und die Tränen strömten aus seinen Augen wie Wasser der Gnade und Liebe, die der Hölle ewiges Feuer löschen.

Da krähte der Hahn.

„Erbarmender Gott. Gib ihr die Ruhe im Grabe, die ich ihr nicht einzulösen vermochte.“

„Die habe ich nun,“ sagte die Tote, „es war Dein hartes Wort, dein finsterer Menschenglaube von Gott und seinen Geschöpfen, der mich zu Dir trieb. Erkenne die Menschen, in welchen selbst bei den Bösen ein Teil von Gott ist, ein Teil, der siegen und die Feuer der Hölle löschen wird.“

Und ein Kuss wurde auf des Pfarrers Mund gedrückt, es leuchtete hell um ihn; Gottes lichte Sonne schien in die Kammer, wo seine Frau, lebendig, sanft und liebevoll, ihn aus einem Traume weckte, der ihm von Gott gesandt war.

Hans Christian Andersen
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