Der majestätische Mann trat zu ihm. „ Ja, Hidesato, ich rief Euch. Ich bin der Drachenkönig dieses Sees, und seit Tagen lag ich mit meiner Drachengestalt auf der Straße und wartete auf einen Mann, der keine Furcht hat. Oben am Berg lebt ein gräulicher Hundertfüssler, der allabendlich herunterkommt, in meinen Palast eindringt und meine Kinder und Enkelkinder tötet. Nur ein mutiger Sterblicher kann ihn vernichten, und so habe ich gewartet und gewartet.“
„ Ich werde mein Bestes tun“, sagte Hidesato. „ Ich habe nicht oft Angst. Wie Ihr seht, trage ich bogen und Pfeile bei mir und bin ein guter Schütze. Ob ich das Ungeheuer erledigen kann, weiß ich aber nicht.“
Der Drachenkönig brachte Hidesato zu seinem Palast in der Mitte des Sees, um dort den Abend zu erwarten. Bis dahin labten sie sich an Lotusblumen und Blüten. Und während sie so schwelgten, sorgten zehn kleine Goldfische mit anmutigen Tänzen für ihre Unterhaltung, und zehn Karpfen machten mit muschelförmigen Instrumenten süße Musik. Hidesato gefiel das alles ausnehmend gut, bis dann plötzlich ein ohrenbetäubendes Krachen und Donnern ertönte, als ob sich das ganze Universum in einen gewaltigen Sturm verwandelt hatte. Hidesato und der Drachenkönig rannten auf den Balkon und schauten zum Berg hinüber. Und der ganze Berg war von der spitze bis zum fuß von den riesigen braunen Windungen eines gigantischen Hundertfüsslers verdeckt. Die Augen des Hundertfüsslers glichen zwei große Feuerkugeln, und seine hundert Beine wirkten wie eine Kette von brennenden Laternen, während das Untier den Berg herunterkroch. Hidesato spannte einen Pfeil in den Bogen und schoß. Der Pfeil traf den Hundertfüssler ganz genau in der Mitte seiner platten Stirn. Doch der Pfeil prallte wirkungslos ab. Der Hundertfüssler ließ lediglich seine feurige Zunge herausschnellen, als wolle er „ Pah“ sagen, und kam ungerührt immer näher. Hidesato legte einen zweiten Pfeil auf seinen Bogen und schoß noch einmal. Wieder prallte der Pfeil mitten auf die Stirn, und wieder prallte er wirkungslos ab. Wieder fuhr die feurige Zunge des Ungeheuers hervor, und es kam immer näher gekrochen, immer näher. Nun hatte Hidesato nur noch einen Pfeil übrig. Was sollte er tun?
„Spuckt drauf“, rief der Drachenkönig. „Der Speichel eines mutigen Mannes hat Macht in sich.“
Hidesato spuckte auf die Pfeilspitze, spannte den Pfeil in den Bogen und schoß. Doch diesmal glitt der Pfeil nicht ab, sondern fuhr glatt durch das Haupt des Hundertfüsslers. Der Hundertfüssler hörte mit dem Weiterkriechen auf. Die zwei großen Feuerbälle, die seine Augen waren, schrumpften und wurden schwächer. Die hell leuchtende Kette von Laternen, die seine hundert Füße bildeten, flackerte, zitterte und verlöschte. Nun waren nur noch zwei kleine Feuerbälle zu sehen, die immer kleiner und kleiner wurden, bis auch sie von der Dunkelheit verschluckt wurden. Hidesato stand neben dem Drachenkönig auf dem Balkon. Außer dem dankbaren Aufstöhnen des Königs konnte er nichts hören, und sehen konnte er schon überhaupt nichts. Unheimliche Schwärze, unheimliches Schweigen lagen über Berg und See. Doch dann wurde die Dunkelheit durch einen gezackten Blitz nach dem anderen zerrissen. Donnerschlag und Donnerschlag dröhnte in Hidesatos Ohren. Der Berg tauchte im einen Moment beleuchtet auf und verschwand im nächsten wieder. Der Palast des Drachenkönigs schwankte und bebte wie Schilf im Sturm. Und dann kam es Hidesato so vor, als ob die ganze Welt unter ihm einstürzen würde. Auch er schwankte und bebte und sank dem Drachenkönig zu Füßen.
Als er wieder zu sich kam, war es schon Morgen. Die Sonne schien hell, der Himmel war blau, der Gipfel des Berges schimmerte weiß, und in glitzernden blauen Wasser des Sees lag der tote Körper des Hundertfüsslers. Die zehn kleinen Goldfische führten ihre anmutigen Tänze auf, die zehn Karpfen spielten auf ihren Muschelinstrumenten, der Tisch war gedeckt, und wieder labten sich der Drachenkönig und Hidesato an Lotusblumen und Blüten. Als sie genug schnabuliert hatten, stand Hidesato auf und erklärte, dass es für ihn Zeit sei, auszubrechen.
„Ich werde Euch bis zum Ende der Brücke begleiten“, sagte der Drachenkönig. Er und Hidesato schritten nebeneinander her, und hinter ihnen kam ein Gefolge von Fischen, die in Männer verwandelt waren und fünf Geschenke trugen. Am Ende der Brücke verbeugte sich der Drachenkönig vor Hidesato und ging zu seinem Schloss zurück, doch das Gefolge der verwandelten Fisch – Männer lief bis zu Hidesatos Haus mit. Und dort legten die Männer ihre fünf Geschenke nieder und verschwanden.
Es gab folgende Geschenke: zwei Glocken, einen Sack voll Reis. Einen Seidenballen und ein Kochtopf. Derartige Geschenke mag man als keine sehr üppige Belohnung für die Vernichtung eines Ungeheuers einschätzen, doch in Wirklichkeit waren es sogar sehr große Geschenke. Sobald der Reis – Sack leer war, füllte er sich sofort wieder, man konnte den Seidenballen aufrollen und aufrollen, und immer noch kein Ende zu sehen, der Kochtopf aber kochte alles, was man hineingab, ohne ein Feuer zu benötigen.
Nur die Glocken hatten keinen anderen Zauber als ihre süßen Klänge, und Hidesato machte sie dem Tempel zum Geschenk.
Aus seinem Reis – Sack und seinem Kochtopf verpflegte er sich mit Nahrung, und mit der Seide trieb er Handel. Aus dem einfachen, armen Burschen wurde ein unvorstellbar reicher Mann. Obwohl er keinerlei Lust verspürte, seinen Namen zu ändern, bekam er einen anderen. Niemand nannte ihn mehr Hidesato, sondern alle nannten ihn Mylord Reis – Sack.
aus Japan
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