Der fromme Sohn Harun Arraschids | ein arabisches MĂ€rchen aus 1001 Nacht

Der fromme Sohn Harun - MĂ€rchen aus 1001 Nacht
Novellen - Kurzgeschichten - BĂŒcher - Daniela Noitz
Es wird auch erzĂ€hlt: Harum Arraschid hatte einen Sohn, der, als er sechzehn Jahre alt war, immer mit frommen Einsiedlern und Heiligen lebte, stets auf den GrĂ€bern herumwanderte und ausrief: „Ihr habt die Welt besessen, was habt ihr nun davon in euerm Grabe; ich möchte wissen, was ihr Alles in der Welt gesagt und was euch gesagt worden.“ Eines Tages, als er ein wollenes Oberkleid um den Leib und ein wollenes Tuch um sein Haupt hatte, begegnete ihm sein Vater mit den Vezieren und Großen des Reichs, und es sagte Einer zum Andern: „Dieser JĂŒngling macht den FĂŒrsten der GlĂ€ubigen vor allen Königen zu Schande; wenn er ihn doch nur zurechtwiese, vielleicht wĂŒrde er seinen Lebenswandel Ă€ndern.“ Harun Arraschid sagte ihm dann: „Mein Sohn, du machst mich zu Schande durch deine Eigenheiten.“ Der JĂŒngling antwortete nicht, sondern rief einem Vogel, der auf dem Dache des Schlosses stand, zu: „O Vogel, bei Dem, der dich geschaffen, lasse dich auf meine Hand nieder!“ Sogleich flog der Vogel auf des JĂŒnglings Hand. Dann sagte er ihm: „Kehre wieder auf das Dach zurĂŒck!“ Da flog der Vogel wieder auf die Stelle, wo er hergekommen war. Dann rief er ihm zu: „Bei deinem Schöpfer, lasse dich auf die Hand des FĂŒrsten der GlĂ€ubigen nieder! aber der Vogel weigerte sich. Da sagte der JĂŒngling zu seinem Vater: „Du machst mich zu Schande unter den Heiligen durch deine Liebe zur Welt, darum habe ich auch beschlossen, mich von dir zu trennen.“ Hierauf ging der JĂŒngling fort und reiste nach Bassrah, wo er mit den Maurern arbeitete und 1 1/6 Drachmen Taglohn empfing, von welchem er lebte. Abu Amer aus Bassrah erzĂ€hlt von ihm. Als in meinem Hause eine Mauer einstĂŒrzte, ging ich auf den Platz, wo die Maurer standen, um einen Arbeiter zu holen, der sie wieder aufbauen sollte. Da fiel mein Auge auf einen hĂŒbschen JĂŒngling mit einem feinen Gesichte, ich ging auf ihn zu, grĂŒĂŸte ihn und sagte ihm: „Mein Freund, willst du Arbeit, so komme mit mir!“ – „Recht gerne,“ antwortete der JĂŒngling, „doch unter der Bedingung, dass du mir nur 1 1/6 Drachmen Taglohn gibst, und so oft zum Gebete gerufen wird, mich mit der Gemeinde beten lĂ€sst.“ Ich willigte ein, nahm ihn mit mir nach Hause und er arbeitete, wie ich noch nie arbeiten gesehen. Als ich ihn an das Mittagessen erinnerte, nahm er Nichts an, und ich merkte, das er fastete. Als dann das Gebet ausgerufen ward, sagte er: „Erinnere dich unserer Übereinkunft!“ Ich sagte: „Gut.“ Da löste er seinen GĂŒrtel, wusch sich auf die fromme Weise, ging in die Moschee und betete mit der Gemeinde. Dann kam er wieder und arbeitete mit dem grĂ¶ĂŸten Eifer, bis das Nachmittagsgebet ausgerufen ward. Da erinnerte er mich wieder an die Bedingung, ging in die Moschee und betete mit der Gemeinde, dann kehrte er wieder zur Arbeit zurĂŒck. Ich sagte ihm. „Mein Freund, sonst arbeiten die Maurer nur bis zum Nachmittagsgebete.“ Er sagte aber: „Gepriesen sei Gott, ich pflege immer bis Nachts zu arbeiten.“ Als es Nacht war, gab ich ihm zwei Drachmen. Da sagte er: „Was ist das?“ Ich antwortete: „Nur ein geringer Lohn fĂŒr deine große Arbeit.“ Aber er warf mir sie zu und sagte: „Ich nehme nicht mehr, als ich mir vorbehalten,“ und trotz aller MĂŒhe konnte ich ihn nicht dahin bringen, mehr als 1 1/6 Drachmen zu nehmen.

Am folgenden Morgen ging ich wieder auf den Sammelplatz der Arbeiter; aber ich fand ihn nicht, und als ich nach ihm fragte, sagte man mir, er komme nur jeden Sonnabend. Ich ging Sonnabends wieder, um ihn aufzusuchen, und fragte ihn, ob er in Gottes Namen wieder bei mir arbeiten wolle? Er sagte: „Recht gerne, nach den dir wohlbekannten Bedingungen.“ Ich nahm ihn mit nach Hause und fĂŒhrte ihn an die Arbeit. Da bemerkte ich, ohne von ihm gesehen zu werden, wie er nur eine Hand voll Lehm auf die Mauer warf und plötzlich alle Steine fest aufeinander saßen, und ich dachte: Solche Kraft haben nur die Heiligen. Er arbeitete an diesem Tage noch mehr als frĂŒher, und des Abends gab ich ihm seinen Lohn, mit dem er fortging.

Am dritten Sonnabend wollte ich ihn wieder holen, fand ihn aber nicht, und als ich nach ihm fragte, hörte ich, er sei krank und liege auf dem BegrĂ€bnisplatze in dem Zelt einer alten Frau, die durch Frömmigkeit berĂŒhmt war. Ich ging nach dem Zelt und fand ihn darin auf dem Boden liegend, ohne Etwas unter sich zu haben. Ich grĂŒĂŸte ihn und setzte mich ihm zu HĂ€upten und weinte ĂŒber seine Jugend, die er so in der Fremde zubringen musste. Ich fragte ihn dann, ob ich ihm irgend einen Dienst erweisen könnte? Er sagte: „Ja wohl; wenn du morgen mich wieder besuchst, so wirst du mich tot finden, wasche mich dann, hĂŒlle mich in den Oberrock, den ich anhabe, und beerdige mich, ohne Jemanden etwas von mir zu sagen. Doch ehe du mich beerdigst, nimm aus den Taschen meines Oberkleides, was darin ist. Wenn mich dann die Erde bedeckt und du fĂŒr mich gebetet hast, so reise nach Bassrah und gib dem Chalifen Harun Arraschid, was du in meiner Tasche findest, und grĂŒĂŸe ihn von mir, sage ihm auch, dass ich bis zur Todestunde mich nach ihm gesehnt, dass weder Hass noch Überdruss mich von ihm getrennt, dass ich nur darum in die Fremde wanderte, weil meine Seele zu fern von seiner Welt stand.“ Dann rezitierte er noch folgende Verse:
„O Freund, lass dich durch die Annehmlichkeiten des Lebens nicht verblenden: das Leben ist nicht von Dauer und seine Freuden vergehen bald; hast du je das Schicksal eines Volkes gekannt, so wisse, das du einst darnach gefragt wirst, und hast du je eine Leiche ins Grab gefĂŒhrt, so bedenke, dass man auch dich dahin tragen wird.“
Nachdem er mich durch diese Verse ermahnt hatte, verließ ich ihn, und als ich ihn am folgenden Morgen wieder besuchte, war er tot (Gottes Erbarmen sei mit ihm); ich wusch ihn, öffnete seine Taschen und fand einen Rubin darin, der eine Millionen Dinare wert war, da dachte ich. Bei Gott, der JĂŒngling hat der Welt vollkommen entsagt! Ich reiste dann nach Bassrah, begab mich vor den Palast des Chalifen und wartete, bis Harun Arraschid herauskam; dann trat ich ihm in den Weg und gab ihm den Rubin. Sobald er ihn sah, fiel er in Ohnmacht. Die Diener hielten mich an; aber als er zu sich kam, sagte er ihnen, sie möchten mich nur loslassen, ließ mich ins Schloss fĂŒhren, und als ich in seinem Zimmer war, fragte er mich: „Was hat Gott ĂŒber den EigentĂŒmer dieses Rubin verhĂ€ngt?“ – „Er ist gestorben,“ antwortete ich, und erzĂ€hlte ihm, was ich von ihm wusste. Da schrie er schluchzend: „Der Sohn hat das Bessere gewĂ€hlt und der Vater wird zu Schande!“ Dann rief er einen Frauennamen; da trat eine Frau heraus, die, als sie mich sah, wieder zurĂŒcktreten wollte; aber der Chalif sagte ihr: „Bleibe nur, du brauchst vor diesem Mann dich nicht zu verbergen,“ und warf ihr den Rubin zu. Sobald sie ihn sah, stieß sie einen Schrei aus und fiel in Ohnmacht. Als sie wieder zu sich kam, sagte sie: „O FĂŒrst der GlĂ€ubigen! was hat Gott ĂŒber meinen Sohn verhĂ€ngt?“ Der Chalif bat mich, es ihr zu sagen, denn er konnte vor TrĂ€nen nicht sprechen. Als ich ihr seinen Tod erzĂ€hlte, weinte sie und rief mit herzzerreißender Stimme: „O wie sehne ich mich nach dir, Freude meines Auges, o könnte ich dir doch zu trinken geben, wenn Niemand es tut! O könnte ich dich doch unterhalten, wenn es dir unheimlich wird!“ Ich sagte dann: „O FĂŒrst der GlĂ€ubigen, war denn dieser JĂŒngling dein Sohn?“ – „Ja wohl,“ antwortete Harun Arraschid, „er besuchte oft die Gelehrten und Frommen, ehe ich zum Chalifen erhoben worden, sobald ich aber die Regierung antrat, wollte er sich von mir entfernen; da sagte ich zu seiner Mutter: „Dein Sohn will abgeschieden von uns nur Gott allein leben; er wird gewiss hart geprĂŒft werden und in große Not kommen, gib ihm daher diesen Rubin, damit er in der Not Etwas habe; ich gab ihr also diesen Rubin, und sie drang in ihn, bis er ihn annahm; so verließ er uns, und wir haben ihn nicht wiedergesehen, bis er aus unserer Welt geschieden, um mit reiner Seele vor seinen erhabenen Herrn zu treten.“

Dann sagte der Chalif: „Komm mit mir und zeige mir sein Grab!“ Als wir dort anlangten, weinte und seufzte er so lange, betete fĂŒr seinen Sohn und rief: „Wir sind Gottes und zu ihm kehren wir zurĂŒck.“ Dann bot mir der Chalif eine Stelle an, ich schlug sie aber ab und sagte: „Ich habe eine Lehr von deinem Sohne angenommen,“ und rezitierte folgende Verse:
„Ich bin ein Fremdling, gehöre Niemanden an, wo ich auch weile; ich bin ein Fremdling, habe weder Frau noch Kind; meine Herberge sind die Moscheen, von denen nie mein Herz sich trennt, und dafĂŒr danke ich Gott, dem Herrn der Welten.“

aus 1001 Nacht 

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