Der trauernde Schullehrer | ein arabisches Märchen aus 1001 Nacht

Der trauernde Schullehrer - ein Märchen aus 1001 Nacht
Novellen - Kurzgeschichten - Bücher - Daniela Noitz
Man erzählt ferner von einem Mann aus Bassrah Folgendes: Ich ging einst – so erzählte er selbst – vor einem Schullehrer vorbei, der so hübsch aussah und so zierlich gekleidet war, dass ich bei ihm stehen blieb. Er stand vor mir auf, hieß mich sitzen, und ich unterhielt mich mit ihm über den Koran, über die Sprache, Poesie und Grammatik; ich fand ihn in Allem sehr bewandert, und er gefiel mir so gut, dass ich ihn sehr oft besuchte und mich zu ihm setzte. Eines Tages aber, als ich ihn wieder wie gewöhnlich besuchen wollte, fand ich seine Schule geschlossen, die Nachbarn, die ich nach ihm fragte, sagten mir, es sei ihm Jemand gestorben. Da hielt ich es für meine Pflicht, ihm einen Trostbesuch zu machen. Ich ging also in sein Haus, klopfte an die Türe, eine Sklavin kam mir entgegen und fragte mich was ich wollte? „Ich will deinen Herrn sprechen.“ – „Mein Herr ist in Trauer.“ – „Sage ihm: dein Freund N.N. will dich trösten.“ Sie ging und meldete mich, und er erlaubte mir, ihn zu besuchen.

Als ich in sein Zimmer kam, saß er da ganz allein mit verbundenem Haupte. Ich sagte: „Gott vergrößere deinen Lohn in jener Welt! das ist ein Weg, den Jeder betreten muss, du musst dein Unglück standhaft tragen.“ Dann fragte ich ihn: „Hast du deinen Vater verloren?“ – „Nein.“ – „Ist deine Mutter gestorben?“ – „Nein.“ – „Dein Bruder?“ – „Nein.“ – „Sonst ein naher Verwandter?“ – „Nein.“ – „Wer denn?“ – „Meine Geliebte.“ – „Du kannst schon wieder eine andere finden, schöner als sie war.“ – „Wisse, dass ich sie nie gesehen noch gehört habe.“ – „Das ist sonderbar, wie konntest du sie denn lieben?“ – „Ich saß am Fenster und hörte, wie ein Vorübergehender folgenden Vers sang:
„O Mutter Amrus, Gott möge dich dafür belohnen! Gib mir doch mein Herz wieder, wie es war.
„Da dachte ich, wäre die Mutter Amrus nicht die ausgezeichnetste Frau in der Welt, so würde man keine solche Verse für sie dichten, darum liebte ich sie. Nach zwei Tagen sah ich wieder denselben Mann vorübergehen, und er sang folgenden Vers:
Als der Esel die Mutter Amrus wegtrug, kehrte der Esel allein zurück ohne sie.“
„Aus diesem Verse schloss ich, dass sie gestorben sein müsse, und darum traure ich schon drei Tage um sie.“ Als ich dies hörte – fährt der Erzähler fort – ließ ich ihn sitzen und ging weg, erstaunt über seinen Blödsinn, denn nur ein Thor kann eine Frau lieben, die er nie gesehen.

aus 1001 Nacht 

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