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Vänö und Glänö – Ein Märchen von Hans Christian Andersen

🤖 Fragen zum Nachdenken:
Hoffnung ist die stille Kraft, die uns trägt – sie lebt in jedem Lichtblick, auch wenn er klein ist.

Andersen, Meer und versunkene Inseln

Das Märchen Vänö und Glänö gehört zu den weniger bekannten Werken von Hans Christian Andersen. Es verbindet Naturbeobachtung, Legende und menschliche Sehnsucht nach dem Geheimnisvollen. Erzählt wird von zwei kleinen Inseln an der Küste von Seeland, nahe Holsteinborg in Dänemark. Während die eine – Vänö – in einer stürmischen Nacht im Meer versinkt, bleibt die andere – Glänö – lange bestehen, bis auch sie eines Tages verschwindet.


Vänö und Glänö

Ein Märchen von Hans Christian Andersen

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Seelands Küste, gegenüber von Holsteinborg, lagen einmal zwei waldbewachsene Inseln, Vänö und Glänö, auf denen waren Kirchdörfer und Höfe; sie lagen nahe am Strande, sie langen einander nahe, nun ist da nur die eine Insel.
Eines Nachts war ein entsetzliches Wetter, das Meer stieg, wie es seit Menschengedenken nicht gestiegen war, der Sturm nahm gewaltig zu, es war ein Wetter wie am Jüngsten Tag, es toste, als ob die Erde risse, die Kirchenglocken kamen in Schwung und läuteten ohne Menschenhilfe.
In dieser Nacht verschwand Vänö in der Tiefe des Meeres; es war, als ob es diese Insel niemals gegeben hätte. Aber später, in mancher Sommernacht bei stiller, klarer Ebbe, wenn der Fischer draußen war, um Aale zu fangen mit einem Licht vorne im Schiff, sah er mit ordentlich scharfem Blick tief unter sich Vänö liegen mit seinem weißen Kirchturm und der hohen Kirchenmauer. „Vänö warten auf Glänö,“ sagte die Sage; er sah die Insel, er hörte die Kirchenglocken unten läuten, aber darin irrte er doch, es waren gewiß Töne von den vielen wilden Schwänen, die hier oft auf der Wasserflut liegen; die glucksen und klagen, als hörte man aus weiter Ferne Glockenklang.
Es gab eine Zeit, da sich noch viele alte Leute auf Glänö jener Sturmnacht erinnerten, und das sie selber als kleine Kinder in der Ebbe zwischen den beiden Inseln gefahren waren, wie man heutzutage von Seelands Ufer nicht weit von Holsteinborg hinüber nach Glänö fährt, das Wasser reicht nur bis in die Mitte der Räder. „Vänö warten auf Glänö,“ wurde gesagt, und es wurde Sage und Gewißheit.
Mancher kleine Junge oder manches kleine Mädchen lagen in stürmischen Nächten und dachten: „Heute nacht kommt die Stunde, da Vänö Glänö holt.“ In Angst beteten sie ihr Vaterunser, schliefen dann ein, träumten süß – und am nächsten Morgen war Glänö noch da mit seinen Wäldern und Kornfelder, seinen freundlichen Bauernhäusern und Hopfengärten; der Vogel sang, der Damhirsch sprang; der Maulwurf roch kein Meerwasser, solange er wühlen konnte.
Und doch sind Glänös Tage gezählt; wir können nicht sagen,wie viele es sind, aber eines schönen Morgens ist die Insel verschwunden.
Du warst vielleicht von noch gestern drunten am Ufer, sahst die wilden Schwäne auf dem Wasser liegen zwischen Seeland und Glänö, sahst ein Segelboot mit ausgespannten Segeln am Walddickicht vorbeigleiten, du selber fuhrst durch den niederen Wasserstand, es gab keinen andern Fahrweg, die Rosse stampften in das Wasser, es spritzte um die Wagenräder.
Du bis von dort weggereist, vielleicht nur ein kleines Stück, in die weite Welt hinausgereist und kommst nach einigen Jahren wieder zurück; du siehst dann den grünen Wald umschlossen von einer großen grünen Wiesenstrecke, wo das Heu vor hübschen Bauernhäusern dufttet. Wo bist du? Holsteinborg prangt ja noch hier mit seinen vergoldeten Turmspitzen, aber nicht dicht am Fjord, es liegt tiefer hinein ins Land, du gehst durch den Wald, hin übers Feld, hinab zum Strand – wo ist Glänö? Du siehst keine Waldinsel vor dir, du siehst das offne Wasser. Hat Vänö Glänö geholt, auf das es lange wartete? Wann war die Sturmnacht, in der es geschah, in der die Erde zitterte, so daß das alte Holsteinborg viele tausend Hahnenschritte hinein ins Land versetzt wurde?
Das war keine Sturmnacht, das war am hellen Sonntag. Die Menschenklugheit legte einen Damm vor das Meer, die Menschenklugheit blies das Binnenwasser fort, band Glänö an das feste Land, der Fjord ist Wiese geworden mit üppigem Gras, Glänö ist an Seeland festgewachsen. Der alte Hof liegt, wo er immer lag. Es war nicht Vänö, das Glänö holte, es war Seeland, das mit langen Deicharmen zugriff und mit dem Atem der Pumpen blies und die Zauberworte sprach, das Vermählungswort, und Seeland erhielt viele Morgen Land als Brautgabe. Das ist Wahrheit, das ist wirklich, du kannst es sehen, statt es zu hören, die Insel Glänö ist verschwunden.


Zusammenfassung des Märchens

An Seelands Küste, gegenüber von Holsteinborg, lagen einst zwei bewaldete Inseln: Vänö und Glänö. Beide trugen Kirchdörfer und Bauernhöfe, und sie lagen einander nah.

Doch in einer schrecklichen Sturmnacht, so heftig wie am Jüngsten Tag, erhob sich das Meer. Der Sturm tobte, die Kirchenglocken läuteten von selbst, und Vänö versank in den Fluten. Nur bei Ebbe, so sagt die Sage, könne man noch den weißen Kirchturm tief im Wasser sehen und das Läuten der Glocken hören – oder waren es doch die Rufe der Schwäne?

Auf Glänö blieb das Leben noch lange bestehen: Wälder, Kornfelder, Bauernhöfe, Damhirsche. Doch die Sage sprach: „Vänö wartet auf Glänö.“ Kinder beteten in stürmischen Nächten, Glänö möge nicht geholt werden.

Und tatsächlich: eines Tages war Glänö verschwunden. Nicht durch ein Naturunglück, sondern durch die Hand des Menschen. Mit Dämmen, Pumpen und kluger Technik wurde die Insel an Seeland „angeschlossen“. Aus Meer wurde Wiese, Glänö wuchs mit Seeland zusammen – und so ging auch diese Insel in der Geschichte auf.


Interpretation und Bedeutung

Das Märchen Vänö und Glänö ist reich an Symbolik:

  • Natur und Vergänglichkeit: Inseln können verschwinden, Landschaften sich verändern – nichts bleibt ewig.
  • Sage und Wirklichkeit: Andersen verknüpft Legende (die versunkene Insel) mit realer Technik (die Trockenlegung durch Deiche und Pumpen).
  • Angst und Hoffnung: Besonders Kinder fürchteten die Nacht, in der „Vänö Glänö holt“.
  • Mensch und Natur: Während Vänö durch Naturgewalt verschwindet, wird Glänö durch menschliches Eingreifen „gerettet“ – und doch verschwindet auch hier das Ursprüngliche.

Hans Christian Andersen und seine Märchenwelt

Andersen verstand es, Naturbeobachtungen, Sagen und Märchenmotive miteinander zu verweben. Vänö und Glänö zeigt, wie er Landschaften seiner Heimat Dänemark literarisch verwandelte. Während viele seiner Märchen universell und kindgerecht sind, ist dieses eher ein poetisches Stück mit historischem und naturkundlichem Bezug.


Warum das Märchen bis heute berührt

  • Es erzählt von Naturkatastrophen, die auch in der Gegenwart Realität sind.
  • Es zeigt, wie Mythen und Legenden entstehen, wenn Menschen Naturphänomene deuten.
  • Es erinnert daran, dass Landschaften vergänglich sind – ein zeitloses Thema.

Häufige Fragen zum Märchen „Vänö und Glänö“

Worum geht es in „Vänö und Glänö“?
Es geht um zwei Inseln vor Seelands Küste. Die eine versinkt im Meer, die andere wird später durch menschliches Zutun ans Festland „angebunden“.

Ist das Märchen für Kinder gedacht?
Nicht unbedingt. Es hat weniger märchenhafte Figuren, sondern verbindet Sage, Natur und Geschichte – eher für Erwachsene geeignet.

Gibt es Vänö und Glänö wirklich?
Ja, Andersen nimmt Bezug auf reale Orte bei Holsteinborg in Dänemark. Vänö ist verschwunden, Glänö wurde durch Deichbau Teil des Festlands.


Fazit: Zwischen Sage und Wirklichkeit

Vänö und Glänö ist ein Beispiel dafür, wie Hans Christian Andersen aus Naturbeobachtung und Legende ein Märchen formte. Es erinnert an die Macht des Meeres, die Vergänglichkeit der Natur und den menschlichen Versuch, diese zu beherrschen. Ein Märchen, das weniger zum Vorlesen für Kinder geeignet ist, dafür aber für Erwachsene einen besonderen Reiz hat: Es macht Geschichte lebendig und zeigt, wie tief Andersen mit seiner Heimat verbunden war.

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