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🌟 Der Weihnachtsabend | eine Kurzgeschichte zum Advent

Weihnachtsabend - Geschichte
Weihnachtsabend - Geschichte

An dem heiligen Abende vor dem Weihnachtsfeste wanderte der arme Anton, ein holder Knabe von acht Jahren, noch durch die schneebedeckte Gegend hin. Der arme Kleine hatte seine blonden Locken, die von der Kälte angeduftet waren, noch mit dem leichten schwarzen Strohhute vom letzten Sommer her bedeckt, und seine beiden Wangen glühten hochrot von Frost. Er war nach Soldatenart gekleidet, und hatte eine niedliche scharlachrote Husarenjacke an. In der Rechten führte er einen dicken Stecken von Schlehdorn, und auf dem Rücken trug er ein kleines Reisebündelein, in dem sich all‘ sein Hab und Gut befand. Er war aber fröhlich und guter Dinge, und hatte an der schönen weißen Winterlandschaft umher und an den bereiften Hecken und Gesträuchen am Wege seine herzliche Freude. Indes ging die Sonne glutrot unter. Die angedufteten Halme und Zweige umher flimmerten wie mit rötlichen Fünklein betreut und die Gipfel des nahen Tannenwaldes strahlten im Abendgolde.

Anton dachte das nächste Dorf, das jenseits des Waldes lag, noch leicht zu erreichen, und ging mutig in den dicken, finstern Wald hinein. Er hoffte in dem Dorfe gute Weihnachtsfeiertage zu bekommen; denn er hatte gehört, die Bauern dort seien sehr wohlhabende und gutherzige Leute. Allein er war noch keine Viertelstunde gegangen, so kam er vom rechten Wege ab, und verirrte sich in die wildeste Gegend des rauen, bergigen Waldes. Er musste fast beständig durch tiefen Schnee waten, und einige Male versank er beinahe in Gruben und Schluchten, die unter dem Schnee versteckt waren. Die Nacht brach ein und es erhob sich ein kalter Wind. Wolken überzogen den Himmel, und verdunkelten jedes Sternlein, das durch die schwarzen Tannenäste funkelte. Es war sehr finster und fing auf’s neue an heftig zu schneien.

Der arme Knabe fand keine Spur mehr von einem Wege, und wusste nicht mehr wo an und wo aus. Müde vom langen Umherirren vermochte er nicht mehr weiter zu gehen. Er blieb stehen, zitterte vor Frost, und fing an schmerzlich zu weinen. Er legte sein Wanderbündelein in den Schnee, kniete daneben nieder, nahm seinen Hut ab, erhob seine starren Hände zum Himmel, und betete unter heißen Tränen: „Ach, du lieber Vater im Himmel! Ach lass mich doch nicht in diesem wilden Walde, in Nacht und Frost umkommen. Sieh, ich bin ja ein armes Waislein, und habe keinen Vater und keine Mutter mehr! Ich habe niemand mehr als dich. Aber du bist ja der Vater aller armen Waisen. O lass mich nicht erfrieren; erbarme dich deines armen Kindes. Es ist ja heute die Nacht, in der dein lieber Sohn zur Welt geboren wurde. Um seinetwillen höre mich! Ach lass nicht in eben der Nacht, da sich alle Welt über die Geburt des göttlichen Kindes freut, mich armen Knaben hier einsam im Walde sterben.“ Er legte sein müdes Haupt auf sein kleines Bündelein, und schluchzte und weinte bitterlich!
Aber horch – da erklang es mit einem Male, seitwärts von der Höhe herab, lieblich wie Harfentöne, und ein wunderschöner Gesang erhob sich und hallte von den Felsen wieder. Dem Knaben war es nicht anders, als hörte er die heiligen Engel Gottes singen. Er stand auf, horchte und faltete die Hände. Der Wind hatte sich gelegt, und kein Lüftchen regte sich. Unaussprechlich lieblich erklang der Gesang in der tiefen nächtlichen Stille des Waldes. Jetzt vernahm er deutlich die Worte:
„O sei getrost in jeder Not,
Denn sieh, den liebsten Sohn hat Gott
Zum Heiland dir gegeben!
Auf ihn vertrau‘ und fasse Mut,
Was schlimm ist, macht er wieder gut;
Er liebt dich wie sein Leben.
Jetzt war es wieder stille; nur klangen noch wie ein leiser Widerhall einige sanfte Harfentöne nach. Dem guten Anton wurde es wunderbar um das Herz. „Ach,“ sagte er, „so muss es den Hirten zu Bethlehem gewesen sein, als sie in jener heiligen Nacht den himmlischen Gesang vernahmen. Ich will wieder frischen Mut fassen und fröhlich sein. Sicher wohnen gute Menschen in der Nähe, die sich meiner annehmen; denn ich hoffe, dass sie nicht nur so schön singen, wie die Engel, sondern auch so gut und freundlich gesinnt seien wie Engel!“ Er nahm sein Bündelein, und ging die Anhöhe hinauf – der Gegend zu, woher er den lieblichen Gesang vernommen hatte. Kaum war er einige Schritte durch das Gebüsch gegangen, so glänzte ihm ein heller Lichtstrahl entgegen, der sogleich wieder verschwand, über eine Weile aber wieder erschien, dann wieder auf einige Augenblicke verschwand, dann wieder heller glänzte, und so wechselweise. Anton ging freudig vorwärts, und kam an ein Haus, das einsam im Walde stand. Er klopfte zwei, dreimal an der Haustüre; er hörte wohl mehrere fröhliche Stimmen in dem Hause, aber niemand antwortete ihm. Er versuchte nun die Türe zu öffnen; sie war nur mit der Klinke geschlossen. Er ging hinein, tappte lange in dem dunklen Hausgang umher, und suchte die Stubentüre. Endlich fand er sie, machte sie auf – und blieb höchst erstaunt stehen. Ein heller Glanz von mehreren Lichtern strahlte ihm entgegen. Es war ihm nicht anders, als blickte er in das Paradies, ja in den offenen Himmel. – In der Ecke der Stube, zwischen den zwei Fenstern, war eine überaus schöne Frühlingslandschaft ganz nach der Natur im kleinen abgebildet – eine gebirgige Gegend mit hohen bemoosten Felsen, grünenden Tannenwäldern, ländlichen Hütten, weidenden Schafen nebst ihren hirten, und einer kleinen Stadt oben auf dem Berge. Inmitten der Landschaft war aber eine Felsenhöhle – da sah man das Kind Jesu – die heilige Mutter – den ehrwürdigen Joseph – die anbetenden Hirten, und oben schwebten die jubelnden Engel. Die ganz Landschaft flimmerte von einem wundersamen Glanze; sie war wie mit unzähligen winzigen kleinen Sternlein besät, so wie etwas Laub und Moos an Bäumen und Felsen schimmern, wenn sie an einem Frühlingsmorgen von reichlichem Taue tröpfeln.
Die Einwohner des Hauses waren um die schöne Vorstellung des Kindes Jesu in der Krippe versammelt. An einer Seite saß der Vater und hatte eine Harfe zwischen den Knien stehen, an der andern Seite saß die Mutter mit dem kleinsten Kinde auf dem Schoße. Zwei liebliche Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, standen zwischen den beiden Eltern, blickten andächtig zur Krippe des Heilandes hinauf, und erhoben die Hände gleich den frommen Hirten, die vor der Krippe knieten. Jetzt griff der Vater wieder in die Harfe und die Mutter sang mit ihrer lieblichen Engelsstimme noch einmal das Lied, von dem Anton jene Worte gehört hatte. Die zwei Kinder sangen mit ihren zarten, hellen Stimmchen freudig mit, und der Vater begleitete den Gesang mit seiner angenehmen Bassstimme und dem lieblichen Harfenspiel. Sie sangen:
Vor dir, du holdes Himmelskind
Dem Gottes Engel dienstbar sind,
Fall‘ ich anbetend nieder –
Und freue mit Maria mich,
Und preise mit den Engeln dich,
Und singe Jubellieder!

Du, du bist aller Menschen Heil,
Dich lieben – ist der beste Teil,
Du Liebe ohne Gleichen!
Zwar spricht noch deine Lippe nicht,
Doch sagt dein liebes Angesicht
Dem Armen wie dem Reichen:

„O sei getrost in jeder Not,
Denn sieh‘, den liebsten Sohn hat Gott
Zum Heiland dir gegeben!
Auf ihn vertrau‘ und fasse Mut,
Was schlimm ist, macht er wieder gut:
Er liebt dich wie sein Leben.“

„Und kommt ein andres Kind in Not
Vor deiner Tür‘ sag‘ nicht: Helf Gott!
Wollst seiner dich erbarmen!
Fühlst du für Gottes Liebe Dank,
Lass liebreich es bei Speis und Trank
An deinem Herd‘ erwarmen.“

Anton stand noch immer unter der geöffneten Türe, und hielt die Türklinke in der einen Hand, und Hut und Stecken in der andern. Seine Augen waren beständig auf die schöne Vorstellung der Krippe gerichtet, und mit offenem Munde horchte er auf den Gesang und das Harfenspiel. Niemand bemerkte ihn. Jetzt fühlte aber die Mutter die Kälte, die durch die offene Türe in die Stube drang und blickte nach der Türe. „Lieber Gott,“ rief sie, „wie kommt das Kind in der finstern Nacht durch den dichten Wald hierher? Armer, armer Knabe – du hast dich gewiss verirrt!“ Alle sahen jetzt nach der Türe. Die zwei Kinder hatten ein herzliches Mitleid mit dem verirrten Knaben, blieben aber etwas scheu stehen, weil er ihnen fremd war. Die Mutter ging mit ihrem Kinde auf dem Arm zu ihm hin, und fragte ihn freundlich: „Wo bist du denn her, lieber Kleiner, wie heißt du und wer sind deine Eltern?“ „O du lieber Gott,“ sagte Anton mit Tränen in den blauen Augen, „ich habe gar keine Heimat mehr. Ich heiße Anton Kroner. Mein Vater ist in dem Kriege umgekommen und meine Mutter ist den letzten Herbst vor Jammer und Elend gestorben. Ich bin hier im Lande ganz fremd und irre in der Welt umher, wie ein verlorenes Lämmlein.“ Er fing an zu erzählen, wie er eben jetzt im Walde in so großer Not gewesen, wie er da aber ihren Gesang gehört und so den Weg zu ihrem Hause gefunden habe. Er wollte weiter reden; allein die Stimme versagte ihm; es fror ihn noch allzu sehr. In der warmen Stube fühlte er die Wirkungen der Kälte erst recht. Er zitterte vor Frost und klapperte mit den Zähnen.
„Ach, du armer Anton,“ sagte die Mutter, „du kannst ja vor Frost kaum mehr reden, und hungrig und müde musst du auch sein. Leg‘ dein Bündelein ab, und sitz nieder; ich will dir eine warme Suppe geben, und was sonst noch von dem Nachtessen übrig ist.“
Die zwei Kinder, Christian und Katharine, nahmen ihm nun voll Mitleid Hut und Stock und das Bündelein ab. Katharine legte das Bündelein auf die Bank, Christian legte den Hut oben darauf und lehnte den Stecken in eine Ecke. Hierauf führten sie ihren kleinen Gast an den Tisch. Die Mutter brachte Suppe und ein großes Stück Festkuchen nebst gekochten Pflaumen. Sie setzte sich an die andere Seite des Tisches, und lächelte freundlich, dass Anton es sich so gut schmecken ließ. Die Kinder aber teilten ihm reichlich von ihren Weihnachtsgeschenken mit – schöne rotwangige Äpfel, goldgelbe Birnen, und große braune Nüsse. Sogar das kleine Lieschen auf dem Schoße der Mutter schenkte ihm, auf Zureden der Mutter, das schöne purpurrote Äpfelein, das sie in den kleinen Händchen hielt, und mit den zarten Fingerlein kaum umspannen konnte.
Die warme Suppe bekam dem erstarrten Anton sehr gut, und die liebliche Stubenwärme tat ihm nunmehr sehr wohl. Er ward wieder munter und fröhlich. „Aber was ihr doch da in der Ecke eurer Stube schönes habt!“ fing er jetzt an. Er hatte schon unter dem Essen beständig nach der Krippe hinübergeblickt. „Das ist ja ein Frühling mitten im Winter!“ sagte er. „So etwas Wunderschönes hab‘ ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Ich muss es doch näher betrachten.“ Er sprang hin und die zwei Kinder folgten ihm.
„Weißt du aber auch, was dass alles vorstellt?“ fragte Katharine. „Freilich weiß ich das, “ sagte Anton. „Es stellt die Geburt Jesu vor. Was das für ein schönes, liebliches Kindlein ist! Sein Angesicht ist so schön weiß und rot, wie Lilien und Rosen. Und was es für glänzende Äuglein hat, und wie freundlich es lächelt!“ – „Das ist aber nicht das rechte Jesuskindlein!“ sagte Katharine. „Jesus ist jetzt kein Kind mehr; er ist schon lange in den Himmel aufgefahren.“ „Das weiß ich wohl,“ sagte Anton. „Meinst du denn, ich sei ein Heide? Es ist schon bald zweitausend Jahre, dass Jesus als ein Kind in der Krippe lag. Das alles hier ist nur so gemacht, damit wir Kinder uns alles besser vorstellen können. Das da oben ist, glaube ich, die Stadt Bethlehem. Nicht so?“ Katharine nickte. „Siehst du nun,“ sagte Anton, „das ich alles weiß! Ich bin nicht so dumm, als du meinst.“
Die Kinder lachten und machten nun Anton noch auf allerlei Kleinigkeiten aufmerksam, die ihnen aber höchst wichtig vorkamen. „Sieh nur, Anton,“ sagte Katharine, „das schöne weiße Schaf hier mit krauser Wolle, und die zwei allerliebsten kleinen Schäflein daneben! Sieh, hier herum graset die übrige Herde, und dort steht der Hirt und bläst auf der Schalmei. In dem niedlichen roten Hüttchen mit Rädern schläft er zu Nacht.“
„Siehst du auch,“ sprach Christian, „wie da aus dem Felsen ein kleines Quellchen, so fein wie ein Silberfädchen, hervorspringt, und sich in den hellen See ergießt? Sieh, zwei weiße Schwäne mit schön gebogenen Hälsen schwimmen auf dem See und spiegeln sich in dem ruhigen, silberklaren Wasser.“ „Dort,“ sagte Katharina, „kommt ein Hirtenmädchen den steilen Weg am Berg herab, und trägt ein zugedecktes Körblein auf dem Kopf. Darin werden wohl Äpfel oder Eier sein, die sie zur Krippe trägt.“ „Und sieh,“ sagte Christian, „dort schiebt Einer auf seinem Schiebkarren einen Sack die hohe Bergschlucht hinauf. Was aber in dem Sacke ist, weiß ich nicht zu sagen.“ So unterhielten sich die Kinder höchst angenehm, und kein kleines, streifiges Schnecklein, das an dem Felsen klebte, und kein buntes Müschelein am Ufer des Sees blieb unbemerkt. „Nun wohl!“ sagte Anton, „das ist alles sehr schön. Allein das Schönste ist doch die Abbildung des himmlischen Kindes! Das freut mich am meisten. Denn um jenes Kindes willen, das hier abgebildet ist, hat mich der himmlische Vater aus meiner großen Not errettet.“

Christoph von Schmid 

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