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🎄 Weihnacht in Winkelsteg | Adventgeschichte | Peter Rosegger

Eine Weihnachtsgeschichte von Peter Rosegger
Eine Weihnachtsgeschichte von Peter Rosegger

In der heiligen Christnacht sind die Leute schon wieder von allen Seiten herbeigekommen. Die von den Spanlunten abgefallenen Glühkohlen sind lustig hingeglitten über die Schneekruste wie Sternschnuppen.

Viele Wäldler sind in ihrer Sehnsucht nach der mitternächtigen Feier ein gut Stück zu früh daran. Da die Kirche noch nicht aufgesperrt und es im Freien kalt ist, so kommen sie zu mir in das Schulhaus. Ich schlage Licht und da ist bald die ganz Schulstube voll Menschen. die Weiber haben weiße, bandartig zusammengelegte Tücher um das Kinn und über die Ohren hinaufgebunden. Sie huschen recht um den Ofen herum und blasen in die Finger, um das Frostwehen zu verblasen.
die Männer halten sich fest in ihren Lodengewändern verwahrt. Sie behalten die Hüte auf den Köpfen, sitzen auf den Tischbrettern der Schulbänke und besehen mit wichtigtuender Bedächtigkeit die Lehrgegenstände, welche die Jüngeren den Älteren erklären. Einige gehen auch über den Boden auf und ab und schlagen bei jedem Schritt die gefrorenen Schuhe aneinander, dass es klappert. Fast alle rauchen aus ihren Pfeifen. Der Urwald ist auszurotten, aber das Tabakrauchen nimmer.
Ich kleide mich rasch an, ich soll in der Kirche doch der erste sein.
Jählings klopft es sehr stark an meine Tür. Die Waldleute klopfen nicht; wer ist es also? Eine weiße Schafwollenhaube guckt herein und unter der Haube steckt ein alter Runzelkopf mit schneeweißen Lockensträhnen. Also gleich erkenne ich den Waldsänger. Heute trägt er einen gar langen Rock, der bis zu den Waden hinabgeht und mit Messinghäkchen zugeknöpft ist. Darüber hängt ein Schnappsack und eine Seitenpfeife; und auf einen Hirtenstab stützt sich der Alte und seinen braunen, weltumfassenden Hut hält er in den Händen. dieser Hut ist seine Hütte und sein Heim und seine ganze Welt. Ein guter Hut, denkt er, ist das beste im Weltgetümmel; und der Erde Hut nennen sie den Himmel. „Was hocket Ihr denn da, Ihr Bärenhäuter!“ ruft der Rüpel laut und lustig, „draußen scheint schon lang die Sonnen! – Gelobt sei der Herr; und ich bring euch die wundersame Mär, die sich heut zugetragen hat drunten in der Bethlehemstadt. Hört ihr keine Schalmei und kein Freudengeschrei? So luget zum Fenster hinaus; taghell beleuchtet ist jedes Haus!“
Die Leute stecken richtig die Köpfe zu den Fenstern; aber da ist nichts als der finstere Wald und der Sternenhimmel. – Was sollten sie ansonsten denn noch sehen? Der Alte guckt schmunzelnd nach links und nach rechts, wie viel er wohl Zuhörer habe. So nach stellt er sich mitten in die Stube hin, pocht mit dem Stocke mehrmals auf den Fußboden und hebt so an zu reden:
„Da steh ich allein draußen auf der Heid und schau schläfrig herum weit und breit und treib mein Schäflein zusamm; hab dabei gehabt ein wutzerfeists Lamm. Und wie ich das anschau eine Weil, da hör ich ein Ghetz und ein Gschall, grad hoch in der Luft, es ist wahr; und sie musizieren sogar. Ich hab nit gewusst, was das bedeut’t und wer denn da tobt voller Freud. Die Lämmlein sein gsprungen drauf, eins nach dem andern auf; das feiste hat so lieblich plärrt, wie es das Wunder hat gehört. Drauf seh ich – hab gmeint, `s ist ein‘ Mär – kleine Bubn fliegen in Lüften umher. – Ein Engel fliegt grad auf mich zua, den frag ich: Was gibt’s denn heut, Bua? Da schreit es gleich lustig und froh:“Gloria in excelsis Deo!“ – Das kunnt ich, mein Eid, nicht verstehn: Geh, Bübel, musst deutsch mit mir redn; ich bin ein armer Hirt in der Gmein und die Lämmlein können auch nit Latein. – „So mach sich der Hirt nur geschwind auf und geh er nach Bethlehem drauf, dort wird er finden ein neugebornes Kindelein; ja gar ein wunderschön Kind liegt zwischen Esel und Rind. Nicht in einem Königsaal, nur in einem Ochsenstall, nur in einem Ochsenstall liegt unser eingefatschter Gott, der uns hilft in aller Not.“
Das ist des alten Sängers „Botschaft“, die er während der Weihnachtszeit in allen Häusern verkündet.
Wir haben ihm einen kleinen Botenlohn gegeben, da sagt er noch ein paar heitere Sprüche und humpelt wieder zur Tür hinaus.
Die Leute sind ganz schweigsam und andächtig geworden; und erst, als die Kirchenglocken zu läuten anheben, werden sie wieder lebendiger und verlassen, unbeholfen in Worten und Geberden, die Stube.
Ich habe das Licht ausgelöscht, das Haus verschlossen und bin in die Kirche gegangen. Das ist die Nacht, in der vom Orient bis zum Okzident die Glocken läuten. Ein Freudenruf schallt durch die Welt und die Lichter strahlen wie ein Diamantgürtel um den Erdball. – Auch in unserer Kirche ist es licht wie am hellen Tage, nur zu den Fenstern schaut die helle Nacht herein. Jeder hat ein Stück Kerze oder gar einen ganzen Wachsstock mitgebracht; denn in der Christnacht muss jeder seinen Glauben und sein Licht haben. Die Leute drängen sich zum Kripplein, das heute an der Stelle des Beichtstuhles aufgerichtet worden ist. Ich habe vor mehreren Jahren aus Linden- und Eschenholz die vielen kleinen Figuren geschnitzt und sie zur Versinnlichung der Geburt Christi zusammengestellt. Es ist der Stall mit der Krippe, mit dem Kindlein, mit Maria und Josef, mit Ochs und Esel, es sind die Hirten mit den Lämmlein, die heiligen Könige mit den Kamelen; es sind andere spaßhafte Männchen mit Gruppen, wie sie Freude, Wohltun und Liebe zum Christkinde nach der Leute Auffassung ausdrücken sollen. In der Luft hängen die Engel und die Sterne und im Hintergrunde ist die Stadt Bethlehem. Was der Rüpel weiß zu sagen in Worten, das will ich durch diese Bilder erzählen. Und die Leute erbauen sich an dieser Darstellung. Aber sie halten sie, Gott sei Lob, eben nur wie ein Bild, von dem sie wissen, dass es nichts bedeuten und nichts wirken kann als die Erinnerung. Mit einem Heiligenbilde auf dem Hochaltar wäre das anders; das hätten sie Jahr um Jahr und in allen Lebenslagen vor Augen, das täten sie wohl zum Herrgott selber machen.
Auf dem Chore ist in dieser Nacht Unheil gewesen. Der Pfarrer stimmt schon das ambrosianische Loblied an, ich sitze an der Orgel und ziehe zur hohen Festfreude alle sechs Stimmzüge auf – da platzt jählings der Blasebalg und die Orgel stöhnt auf und faucht und gibt keinen einzigen klingenden Ton. Meiner Tage bin ich nicht in solcher Verlegenheit gewesen als in dieser Stunde. Ich bin der Schulmeister, der Choraufseher, ich muss Musik machen; und die Musik ist ja eigentlich das Fest und ohne Musik gibt es in der Kirche gar keine Christnacht. Aller Leut‘ Herzen hüpfen, aller Leut‘ Ohren spitzen sich der Musik entgegen, da schürft mir der Teufel jetzt den Blasebalg auf. Ich habe meinen Kopf in die Hände genommen, hätte ihn am liebsten zum Fenster hinausgeworfen. Vergebens hüpfen meine Finger alle Zehn über die Tasten hin; taubstumm ist das ganze Zeug und wie maustot.
Der Paul Holzer, sein Weib und die Adelheid von der Schwarzhütte, die auf dem Chore neben mir sitzen, merken wohl meine Pein; aber sie rücken nur so her und hin und hüsteln und räuspern sich und heben an in hellen Stimmen zu singen: „Herrgott, dich loben wir all!“
Das ist mir Öl ins Herz gewesen.
Aber das Lied wird bald aus sein und danach kommt das Hochamt und da muss Musik, Chormusik sein um alle Welt. Holpert der alte Rüpel die Treppe herauf: „Schulmeister! Will schon heut die Orgel schweigen, so nimm die Geigen!“ „O Gott, Rüpel, die ist zu Holdenschlag beim Leimen!“ „Und kunnt ich auch die Geigen nicht zuwege bringen, o tät ich bei meiner Treu die Kirchenlieder frei auf der Zither singen!“
Für diese Wort habe ich den Alten so stürmisch umarmt, dass er bis ins Herz hinein erschrocken ist. Ich eile und hole die Zither; und bei dem Hochamte klingt auf dem Chor ein Saitenspiel, wie es in dieser und etwa auch in einer andern Kirche niemalen so gehört worden ist. Die Leute horchen, der Pfarrer selber wendet sich ein wenig und tut einen kurzen Blick gegen mich herauf.
Und so ist mitten in der langen Winternacht zu Winkelsteg das Christfest gefeiert worden. Leise zittern und wiegen die Saitentöne; sie singen dem Neugebornen Jesukindlein das Wiegenlied und dem Menschen den Frieden. Und sie schrillen und wecken das schlafende Kind, ehe der falsche Herodes kommt; und sie trillern ein Wanderliedchen für die Flucht nach Ägypten.
Ich spiele den Messgesang, spiele die Lieder, wie sie meine Mutter gesungen und mein Nährvater, der gute Schirmmacher, und im Hause des Freiherrn die Jungfrau . . . .
Und letztlich weiß ich selber nicht mehr, was ich kindischer Mann der Gemeinde und dem heiligen Kind hab vorgespielt in dieser Christnacht.
Ich werde den Winkelstegern noch so verrückt wie der Reim-Rüpel.
Nach dem Mitternachtsgottesdienst hat der Pfarrer durch mich die Ärmsten der Gemeinde, die Alten, die Bestraften, die Verlassenen zu sich in den Pfarrhof rufen lassen.
Je! Da ist es noch heller wie in der Kirche! Da ist mitten in der Stube ein Baum aufgewachsen und der blüht in Flammenknospen an allen Ästen und Zweigen.
Da gucken die alten Männlein und Weiblein gottswunderlich drein und kichern und reiben sich die Augen über den närrischen Traum. Dass auf einem Baum des Waldes eitel Kerzenlichter wachsen, das haben sie alle ihre Tage noch nicht gesehen.
Jenes Wundervöglein von den tausend Jahren, sagt der Pfarrer, sei wieder durch den Wald geflogen, habe ein Samenkorn in den Boden gelegt und dem sei dieses Bäumchen mit den Flammenblüten entsprossen. Und das sei der dritte Baum des Lebens. Der erst sei gewesen der Baum der Erkenntnis im Paradiese; der zweite sei gewesen der Baum der Aufopferung auf Golgatha; und dieser dritte Baum der Baum der Menschenliebe. Der uns das Golgatha der Erde wieder zum Paradiese gestalte. Im brennenden Dornbusch habe Gott vormal einst die Gebote verkündet und in diesem brennenden Busche wiederholte er es heute: Du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst!
Hierauf hat der Pfarrer die Kleidung und Nahrung verteilt, wie die Gaben bestimmt gewesen, und die Worte gesagt: „Nicht mir danket, das Christkind hat’s gebracht!“ „Du mein, du mein!“ rufen die Leutchen zu einander, „jetzt steigt uns das Christkind schon gar in den Wald herein! Ja, weil wir halt eine Kirche haben und so viel einen guten Herrn Pfarrer!“
Der Rüpel, auch einer der Beschenkten, ist allein kindischer wie die andern all mitsammen. Er eilt um den Baum herum, als täte er das Christkind suchen im Gezweige.
„Aber mein!“ schreit er endlich, „die Sonn darf nicht bös auf mich werden, ich weiß kein Licht auf der Erden, weiß keins zu nennen, das so hell tät brennen wie dieser Wipfel mit seinem Gipfel! Seid fein still und lauscht! Hört ihr’s, wie’s in den Zweigen rauscht? Wie Spatzen fliegen die Englein und bauen ein Nest fürs Christkind zum heiligen Fest. Der weiße dort der kleine – Flügel hat er auch noch keine – der wär jetzt schier herabgefallen. Geh, lass dir ein paar Steigeisen teilen vom Schmied, ich will sie schon zahlen. Schau, ich hab heut ein warm Jöpplein kriegt und in jedem Säckel ein Taler liegt. Und kommet, ihr Engel, nur auch bald zu allen andern Bäumen in unserm Wald, auf dass ihr tätet anzünden die Lichterkronen zu tausend Millionen!“
Keinen Löffel voll hat der alte Rüpel gegessen, als die andern beim Grassteiger warme Suppe genießen. Und als Stroh in die Stube getragen und ein Lager bereitet ist worden, dass die Leutchen nicht in der Nacht zu ihren fernen Hütten wandern müssen, da ist der Rüpel hinausgegangen unter den freien Himmel und hat die Sterne gezählt und jedem einen Namen gegeben. Und der aufgehende Morgenstern hat den Namen „Vater Paul“ erhalten.
Peter Rosegger 

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