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"Das Leben besteht nicht darin, zu warten, dass der Sturm vorbeizieht, sondern zu lernen, im Regen zu tanzen."

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Die Nachbarfamilie – ein Märchen von Hans Christian Andersen

Die Nachbarsfamilie - ein Märchen von Hans Christian Andersen
Die Nachbarsfamilie - ein Märchen von Hans Christian Andersen

Man konnte wirklich glauben, dass im Dorfteiche irgendetwas im Werke sei; aber es war gar nichts los. Alle Enten, ob sie geruhsam auf dem Wasser lagen oder auf dem Kopfe standen, denn das konnten sie, ruderten plötzlich ans Land; man konnte in dem feuchten Boden die Spuren ihrer Füße sehen, und ein gutes Stück weit hören, was sie schrien. Das Wasser kam ordentlich in Bewegung, und eben war es doch noch blank wie ein Spiegel gewesen, so dass man jeden Baum, jeden Busch in seiner Nähe und das alte Bauernhaus mit den Löchern im Giebel und dem Schwalbennest daran sehen konnte, besonders aber den großen Rosenbusch mit allen seinen Blüten, der über die Mauer bis fast ins Wasser hinabhing. Und darin stand das Ganze wie ein Gemälde, aber alles auf dem Kopfe. Doch als jetzt das Wasser in Unruhe geriet, lief alles ineinander, und das ganze Bild verschwand.

Zwei Entenfedern, die den Enten beim Fliegen ausgefallen waren, schaukelten auf und nieder. Mit einem Male fingen sie an, fortzutreiben, als ob der Wind übers Wasser bliese, aber es war gar kein Wind. Dann lagen sie stille, das Wasser wurde wieder spiegelglatt, und man konnte deutlich darin den Giebel mit dem Schwalbennest und den Rosenstrauch wieder sehen. Jede Rose spiegelte sich, sie waren so prächtig und schön, doch sie wussten nichts davon, denn niemand hatte es ihnen gesagt. Die Sonne schien zwischen ihre feinen Blätter hinein, die ganz voller Duft waren, und das war für die Rosen gerade so schön, wie für uns, wenn wir in glückselige Gedanken versunken dasitzen.

„Wie herrlich ist das Leben!“ sagte jede Rose, „das einzige, was ich noch wünschen möchte, wäre, daß ich die Sonne küssen dürfte, weil sie so warm und klar ist. Ja, und die Rosen dort unten im Wasser möchte ich auch küssen. Sie gleichen uns so sehr. Ich möchte die süßen, kleinen Vögel dort unten im Neste küssen; über uns sind auch welche, sie stecken die Köpfe heraus und piepen ganz leise und haben noch gar keine Federn, wie ihr Vater und ihre Mutter. Es sind gute Nachbarn, die wir über uns und unter uns haben. O, wie herrlich ist doch das Leben.“

Die kleinen Vögel oben und unten – die unten waren ja nur ein Widerspiel im Wasser, – waren Spatzen, und Vater und Mutter waren Spatzen; sie hatten sich in das leere Schwalbennest vom vorigen Jahre gesetzt; dort lagen sie nun und fühlten sich zu Hause.

„Sind das Entenkinder, die dort schwimmen?“ fragten die Spatzenjungen, als sie die Entenfedern auf dem Wasser dahintreiben sahen.

„Tut vernünftige Fragen, wenn Ihr fragt“ sagte die Mutter. „Seht Ihr nicht, daß es eine Feder ist, lebendiges Kleiderzeug, wie ich es habe und Ihr es auch bekommen werdet? Aber unseres ist feiner. Wenn wir sie nur oben im Neste hätten, denn das wärmt. Ich möchte wohl wissen, was die Enten so erschreckt hat. Es muß etwas aus dem Wasser gewesen sein; denn ich war es gewiss nicht, obwohl ich freilich etwas laut ‚Piep‘ zu Euch gesagt habe. Die dickköpfigen Rosen müssten es eigentlich wissen, aber sie wissen nie etwas; sie sehen nur sich selbst an und riechen. Ich habe diese Nachbarn herzlich über.“

„Hört die süßen, kleinen Vögel da oben“ sagten die Rosen, „sie wollen jetzt auch anfangen zu singen. – Sie können noch nicht recht, aber es wird schon kommen. – Was muss das für ein Vergnügen sein! Es ist doch ganz hübsch, solche lustige Nachbarn zu haben.“

Da kamen zwei Pferde im Galopp daher, sie sollten getränkt werden; ein Bauernjunge saß auf dem einen. Er hatte alle seine Kleider ausgezogen bis auf seinen schwarzen Hut, der war so schön und groß und breit. Der Knabe pfiff, als sei er ein kleiner Vogel, und ritt in den Teich bis an die tiefste Stelle. Als er an dem Rosenstrauch vorbeikam, riss er eine der Rosen ab und steckte sie auf den Hut. So glaubte er recht geputzt zu sein und ritt wieder fort. Die anderen Rosen sahen ihrer Schwester nach und fragten einander: „Wo reiste sie hin?“ aber das wusste niemand.

„Ich möchte wohl auch in die Welt hinaus!“ sagte die eine zur andern; „aber hier zu Hause in unserem eigenen Grün ist es auch schön. Am Tage scheint die Sonne so warm, und nachts strahlt der Himmel noch schöner! Da können wir durch die vielen kleinen Löcher sehen, die darin sind!“

Es waren die Sterne, die sie für Löcher hielten, denn die Rosen wussten es nicht besser.

„Wir bringen Leben ins Haus“ sagte die Spatzenmutter, „und die Schwalben bringen Glück, sagen die Leute. Aber die Nachbarn dort, so ein großer Rosenbusch an der Mauer, setzt nur Feuchtigkeit an. Ich hoffe, er kommt bald fort, dann kann doch Korn dort wachsen. Rosen sind nur da zum ansehen und daran riechen, höchstens noch zum an den Hut stecken. Jedes Jahr, das weiß ich von meiner Mutter, fallen sie ab, die Bauernfrau salzt sie ein, sie bekommen einen französischen Namen, den ich nicht aussprechen kann, und der mich auch nicht kümmert, und dann werden sie aufs Feuer gelegt, wenn es gut riechen soll. Seht, das ist ihr Lebenslauf; sie sind nur für Augen und Nase. Nun wisst Ihr es.“

Als es Abend wurde und die Mücken in der warmen Luft tanzten und die Wolken sich rot färbten, kam die Nachtigall und sang den Rosen vor, dass das Schöne in der Welt wie der Sonnenschein sei, und daß es ewig lebe. Aber die Rosen glaubten, dass die Nachtigall von sich selbst singe, und das konnte man ja auch glauben. Es fiel ihnen gar nicht ein, dass ihnen der Gesang gelte; aber sie wurden fröhlich dabei und dachten daran, ob nicht all die kleinen Spatzenjungen auch zu Nachtigallen werden könnten.

„Ich verstand sehr gut, was der Vogel sang“ sagten die Spatzenjungen; „es war nur ein Wort dabei, das ich nicht verstand: was ist ‚das Schöne?“

„Das ist gar nichts!“ sagte die Spatzenmutter; „das ist nur so ein Ausdruck. Oben auf dem Herrenhofe, wo die Tauben ihr eigenes Haus haben und jeden Tag Erbsen und Korn in den Hof gestreut bekommen, – ich habe mit ihnen gegessen, und dazu werdet Ihr auch noch kommen! Sage mir, mit wem Du umgehst, so werde ich Dir sagen, wer Du bist! – da oben auf dem Herrenhofe haben sie zwei Vögel mit grünem Halse und einer Krone auf dem Kopfe. Ihr Schwanz kann sich ausbreiten, bis er wie ein großes Rad aussieht; das hat so viele Farben, daß einem die Augen weh tun. Pfauen werden sie genannt, und das ist ‚das Schöne‘. Sie sollten nur ein wenig gerupft werden, dann sähen sie auch nicht anders aus, wie wir anderen. Ich hätte auf sie losgehackt, wenn sie nur nicht so groß wären!“

„Ich will sie hacken!“ sagte das kleinste Spatzenjunge; es hatte noch nicht einmal Federn.

Im Bauernhofe wohnten zwei junge Leute; die hatten einander so lieb. Sie waren fleißig und flink, und es war überall hübsch bei ihnen. Am Sonntag morgen ging die junge Frau hinaus, nahm eine ganze Hand voll der schönsten Rosen, setzte sie in ein Wasserglas und stellte sie mitten auf die Kommode.

„Nun kann ich sehen, dass Sonntag ist!“ sagte der Mann, küsste seine süße, kleine Frau, und sie setzten sich nieder, lasen einen Psalm, hielten einander bei den Händen, und die Sonne schien in die Fenster hinein auf die frischen Rosen und die jungen Leute.

„Es ist wirklich langweilig, das immer wieder sehen zu müssen!“ sagte die Spatzenmutter, die aus dem Neste gerade in die Stube hineinsah; und dann flog sie davon.

Dasselbe tat sie am nächsten Sonntag; denn jeden Sonntag kamen frische Rosen ins Glas, und immer blühte die Rosenhecke gleich schön. Die Spatzenjungen, die nun Federn bekommen hatten, wollten gern mitfliegen; aber die Mutter sagte: „Ihr bleibt hier“ und so blieben sie da. – Sie flog, und wie es kam, wusste sie selbst nicht, jedenfalls hing sie plötzlich in einer Vogelschlinge aus Pferdehaaren fest, die ein paar Knaben an einem Zweig festgebunden hatten. Die Pferdehaare zogen sich fest um ihr Bein, ach, so fest, als ob sie es zerschneiden wollten. Das war ein Schmerz und ein Schreck. Die Knaben sprangen flugs hinzu und griffen den Vogel; sie fassten ihn grausam hart an. „Es ist nur ein Spatz“ sagten sie; aber fliegen ließen sie ihn doch nicht. Sie nahmen ihn mit nach Hause und jedes Mal, wenn er schrie, gaben sie ihm eins auf den Schnabel.

Im Bauernhof stand ein alter Mann, der verstand Seife zu machen für Bart und Hände, Seife in Kugeln und Seife in Stücken. Es war so ein umherwandernder, lustiger Alter, und als er den Spatz sah, mit dem die Knaben daherkamen, und aus dem sie sich gar nichts machten, wie sie sagten, fragte er sie: „Wollen wir ihn schön machen?“ Die Spatzenmutter überlief ein Grausen, als er das sagte. Und aus seinem Kasten, worin die herrlichsten Farben lagen, nahm er eine ganze Menge glitzerndes Schaumgold. Die Jungen mussten hineinlaufen und ein Ei herbeischaffen. Von diesem nahm er das Weiße und bestrich damit den ganzen Vogel; sodann klebte er das Schaumgold darauf, und nun war die Spatzenmutter vergoldet. Aber sie dachte nicht an ihren Staat, sie zitterte an allen Gliedern. Und der Seifenmann nahm ein rotes Läppchen, das er vom Futter seiner alten Jacke abriss, schnitt das Läppchen zu einem gezackten Hahnenkamm aus und klebte ihn dem Vogel auf den Kopf.

„Nun sollt Ihr sehen, wie der Goldvogel fliegt!“ sagte er und ließ den Sperling los, der in der entsetzlichsten Angst in dem hellen Sonnenschein davonflog. Nein, wie er glitzerte! Alle Spatzen, selbst eine große Krähe, und zwar eine vom vorigen Jahrgang, erschraken bei diesem Anblick; aber sie flogen doch hinterher, denn sie wollten wissen, was das für ein vornehmer Vogel sei.

„Woher? woher?“ schrie die Krähe.

„Bleib stehn. Bleib stehn“ sagten die Spatzen. Aber sie wollte nicht stehen bleiben. Erfüllt von Angst und Entsetzen flog sie heimwärts. Sie war nahe daran, umzusinken, und noch immer eilten mehr Vögel herbei, kleine und große. Einige flogen dicht heran, um auf sie los zu hacken. „So einer, So einer“ schrien sie alle zusammen.

„So einer, So einer“ schrien die Jungen, als sie endlich das Nest erreicht hatte. „Das ist bestimmt ein junger Pfau. Da sind alle die Farben, die den Augen wehe tun, wie Mutter sagte: ‚Piep. Das ist das Schöne‘ “ und dann hackten sie mit ihren kleinen Schnäbeln, so dass es ihr nicht möglich war, hineinzuschlüpfen. Und sie war so matt vor Angst, dass sie nicht einmal mehr „Piep“ sagen konnte, viel weniger: „Ich bin Eure Mutter.“ Die anderen Vögel hackten nun auf sie los, dass die Federn flogen, und blutig sank die Spatzenmutter in den Rosenstrauch nieder.

„Das arme Tier!“ sagten die Rosen. „Komm, wir wollen Dich verbergen! Bette Dein kleines Köpfchen auf uns!“

Die Spatzenmutter breitete noch einmal die Flügel aus, drückte sie dann wieder fest an ihren Leib, und dann war sie gestorben bei der Nachbarfamilie, den frischen, schönen Rosen.

„Piep!“ sagten die Spatzenjungen im Neste, „wo mag nur Mutter bleiben, das kann ich gar nicht begreifen! Es sollte doch nicht etwa eine List von ihr sein, dass wir nun selbst für uns sorgen müssen! Das Haus hat sie uns als Erbteil überlassen, aber wer von uns soll es allein besitzen, wenn wir Familie bekommen?“

„Ja, ich kann Euch anderen nicht hier behalten, wenn ich mir erst Frau und Kinder anschaffe!“ sagte der Kleinste.

„Ich bekomme wohl mehr Frauen und Kinder als Du!“ sagte der zweite.

„Aber ich bin der älteste!,“ sagte ein dritter. Der Streit entfachte sich immer heftiger zwischen ihnen, sie schlugen mit den Flügeln, hackten mit dem Schnabel, und bums wurde einer nach dem andern aus dem Neste gepufft. Da lagen sie nun mit Wut im Herzen. Den Kopf wendeten sie nach der anderen Seite und blinzelten dabei mit dem einen Auge; das war so ihre Art zu trotzen.

Ein wenig konnten sie schon fliegen; nun übten sie etwas mehr, und zuletzt wurden sie darüber einig, dass sie, um sich erkennen zu können, wenn sie einander in der Welt begegneten, „Piep!“ sagen und dreimal mit dem linken Fuße scharren wollten.

Das Junge, das im Neste zurückblieb, machte sich so breit wie es nur konnte; es war ja nun Hauseigentümer. Aber die Freude dauerte nicht lange. – In der Nacht leuchtete ein roter Feuerschein aus den Fenstern, die Flammen schlugen unter dem Dache heraus, und das dürre Stroh loderte empor – das ganze Haus verbrannte und der junge Spatz mit; die jungen Leute aber waren glücklich davongekommenen.

Als die Sonne am nächsten Morgen aufgegangen war, und alles erfrischt wie nach einem sanften Nachtschlaf dastand, war von dem Bauernhause nichts weiter übrig geblieben, als einige schwarze, verkohlte Balken, die sich an den Schornstein lehnten, der nun sein eigener Herr war. Der Boden rauchte noch stark; aber davor stand frisch und blühend der Rosenstrauch und spiegelte jeden Zweig und jede Blüte in dem stillen Wasser.

„Nein, wie hübsch sehen doch die Rosen vor dem abgebrannten Hause dort aus!“ rief ein Mann, der vorüber kam. „Das ist ein gar liebliches kleines Bild. Das muss ich haben!“ Und der Mann zog ein kleines Buch mit weißen Blättern aus der Tasche und nahm seinen Bleistift zur Hand; denn er war ein Maler. Dann zeichnete er den rauchenden Schutt, die verkohlten Balken an dem einsam ragenden Schornstein, der sich mehr und mehr neigte, und ganz im Vordergrunde den großen, blühenden Rosenstrauch. Der war freilich wunderschön, und er trug ja auch allein die Schuld daran daß das Ganze gezeichnet wurde.

Später am Tage kamen zwei von den Spatzen vorbei, die hier geboren waren. „Wo ist das Haus?“ fragten sie, „wo ist das Nest? – Piep, alles ist verbrannt, und unser starker Bruder ist mit verbrannt. Das hat er davon, dass er das Nest behielt. Die Rosen sind gut davongekommen! Sie stehen noch immer mit roten Wangen da. Trauern tun sie also nicht über das Unglück der Nachbarn! Ich spreche nicht mit ihnen, und hier ist es hässlich, das ist meine Meinung!“ Dann flogen sie davon.

Spät im Herbste gab es einen herrlichen Sonnentag. Man hätte fast glauben mögen, man sei mitten im Sommer. Im Hofe vor der großen Treppe beim Gutsbesitzer war es trocken und sauber; dort spazierten die Tauben, die schwarzen, die weißen und die bunten, und glänzten im Sonnenschein. Die alte Taubenmutter plusterte sich auf und sagte zu den Jungen: „Steht in Gruppen! Steht in Gruppen!“ – denn so nahmen sie sich besser aus.

„Was ist das kleine graue, das zwischen uns herumläuft?“ fragte eine alte Taube, deren Augen rot und grün leuchteten, „das kleine Graue, das kleine Graue!“

„Das sind Spatzen, gute Tierchen! Wir haben immer den Ruf gehabt, die frömmsten unter den Vögeln zu sein, deshalb wollen wir ihnen erlauben, mit zu picken! – Sie reden nicht mit und scharren so niedlich mit dem Füßchen.“

Ja, sie scharrten, dreimal scharrten sie mit dem linken Bein, aber sie sagten auch „Piep,“ und da erkannten sie sich; es waren die drei Spatzen aus dem abgebrannten Haus.

„Hier ist ein über die Maßen gutes Futter!“ sagten die Spatzen. Und die Tauben gingen umeinander herum, brüsteten sich und gaben innerlich nur etwas auf die eigene Meinung.

„Siehst Du die Kropftaube!“ sagte die eine von der anderen. „Siehst Du, wie sie die Erbsen herunterschluckt? Sie bekommt zu viel, sie bekommt die besten Kurr, kurr. Siehst Du, was sie für einen kahlen Kopf bekommt? Sieh nur das alte, boshafte Tier! Knurre, knurre!“ Und dann schillerten aller Augen ganz rot vor Bosheit. „Steht in Gruppen! Steht in Gruppen. Das kleine Graue, das kleine Graue! Knurre, knurre!“ ging es in einem fort, und so geht es wohl noch in tausend Jahren.

Die Spatzen fraßen gut, und sie hörten gut, ja, sie stellten sich sogar mit in die Gruppen; aber das kleidete sie nicht. Satt waren sie nun, deshalb gingen sie von den Tauben fort und sprachen untereinander ihre Meinung über sie aus. Dann hüpften sie unter dem Gartenzaun hindurch, und da die Tür zum Gartenzimmer offen stand, hüpfte der eine auf die Türschwelle, denn er war übersättigt und deshalb mutig: „Piep!“ sagte er, „das wage ich“ – „Piep“ sagte der andere, „das wage ich auch und noch etwas mehr!“ Und so hüpfte er in die Stube. Es waren keine Leute darin, das sah der dritte wohl, und deshalb flog er noch weiter in das Zimmer hinein und sagte: „Ganz oder gar nicht.“ – „Das ist übrigens ein merkwürdiges Menschennest. Und was hier aufgestellt ist. Nein, was ist das nur?“

Gerade vor den Spatzen blühten ja die Rosen. Sie spiegelt sich dort im Wasser, und die verkohlten Balken lehnten sich gegen den hinfälligen Schornstein! – Nein, was war dies nur? Wie kam dies in die Stube des Gutsherrn?

Und alle drei Spatzen wollten über die Rosen und den Schornstein hinfliegen, aber sie flogen gegen eine flache Wand; das Ganze war ein Gemälde, ein großes, prächtiges Werk, das der Maler nach seiner kleinen Zeichnung angefertigt hatte.

„Piep!“ sagten die Spatzen, „das ist nichts; es sieht nur so aus. Piep! Das ist das Schöne! Kannst Du das begreifen, ich kann es nicht!“ Und dann flogen sie fort, denn es kamen Menschen in das Zimmer.

Nun vergingen Jahr und Tag; die Tauben hatten viele Male gekurrt, um nicht zu sagen geknurrt, die boshaften Tiere! Die Spatzen hatten im Winter gefroren und im Sommer lustig darauf los gelebt. Sie waren allesamt verlobt oder verheiratet oder wie man es sonst nennen will. Junge hatten sie auch, und ein jeder hatte natürlich die schönsten und klügsten. Einer flog hier hin, einer flog dort hin, und trafen sie sich, so erkannten sie sich an ihrem „Piep“ und dem dreimaligen Scharren mit dem linken Fuße. Die älteste war nun schon eine alte Jungfer; sie hatte kein Nest und auch keine Jungen. Sie wollte gern einmal eine große Stadt sehen, und so flog sie nach Kopenhagen. –

Dort war ein großes Haus mit vielen Farben. Es stand dicht beim Schloss an dem Kanal, wo die Schiffe mit Äpfeln und Töpfen an den Ufern lagen. Die Fenster waren unten breiter als oben, und guckten die Spatzen hinein, so war jedes Zimmer, in das sie hinein sahen, wie eine Tulpe mit allen möglichen Farben und Schnörkeln geschmückt, und mitten in diesen Tulpen standen weiße Menschen. Die waren von Marmor; einige waren auch von Gips, aber für Spatzenaugen war das gleich. Oben auf dem Hause stand ein metallener Wagen mit metallenen Pferden davor, und die Siegesgöttin, ebenfalls aus Metall, lenkte sie. Das war das Thorwaldsen Museum.

„Wie das glänzt, Wie das glänzt“ sagte das Spatzenfräulein; „das wird wohl das Schöne sein, Piep. Dies hier ist doch größer als ein Pfau.“ Sie erinnerte sich noch aus ihrer Kindheit, dass dieser das größte „Schöne“ sei, was ihre Mutter gekannt hatte. Und sie flog in den Hof hinab. Dort war es auch prächtig. Palmen und Zweige waren auf die Wände gemalt, und mitten im Hofe stand ein großer blühender Rosenstrauch. Der breitete seine frischen Zweige mit den vielen Rosen über ein Grab. Sie flog dorthin, denn es gingen noch mehrere Spatzen dort auf und ab. „Piep“ und dazu ein dreimaliges Scharren mit dem linken Fuß – diesen Gruß hatte sie Jahr und Tag jedem geboten, aber niemand hatte ihn verstanden; denn die sich einmal getrennt haben, treffen sich nicht jeden Tag wieder. Der Gruß war ihr bereits zur Gewohnheit geworden. Heute jedoch waren da zwei alte Spatzen und ein Junger, die sagten auch „Piep“ und scharrten mit dem linken Fuße.

„Ei sieh, guten Tag, guten Tag.“ Es waren die drei Alten aus dem Spatzennest und ein Junger aus der Familie. „Müssen wir uns hier wiedersehen!“ sagten sie. „Es ist ein vornehmer Ort hier, aber viel zu fressen findet sich nicht. Das ist das Schöne, Piep.“

Viele Leute kamen aus den Seitengängen, wo die prächtigen Marmorfiguren standen, und gingen zu dem Grabe hin, das den großen Meister barg, der den herrlichen Marmorbildern Form gegeben hatte. Alle, die kamen, standen mit leuchtendem Antlitz um Thorwaldsens Grab. Einzelne sammelten die abgefallenen Rosenblätter vom Boden und bewahrten sie auf. Die Leute kamen von weither; sie kamen von dem großen England, von Deutschland und Frankreich. Die schönste Dame nahm eine von den Rosen und barg sie an ihrer Brust. Da glaubten die Spatzen, dass die Rosen hier das Regiment hätten und das ganze Haus um ihretwillen gebaut sei, und das schien ihnen ein bisschen übertrieben zu sein.

Aber da die Menschen alle soviel Wesens von den Rosen machten, wollten sie auch nicht zurückstehen. „Piep“ sagten sie und fegten den Boden mit ihren Schwänzen. Dann schielten sie mit einem Auge zu den Rosen hinauf; aber nicht lange dauerte es, so waren sie davon überzeugt, daß es die alten Nachbarn waren. Und das waren sie auch. Der Maler, der den Rosenstrauch bei dem abgebrannten Hause gezeichnet hatte, bekam später, gegen Ende des Jahres, die Erlaubnis ihn auszugraben. Er hatte ihn dann dem Baumeister des Museums gegeben, denn nirgends konnte man herrlichere Rosen finden. Dieser hatte ihn auf Thorwaldsens Grab gesetzt, wo er als Wahrzeichen des Schönen blühte und seine duftenden roten Blätter hergab, um zur Erinnerung in ferne Länder getragen zu werden.

„Habt Ihr eine Anstellung hier in der Stadt erhalten?“ fragten die Spatzen. Und die Rosen nickten; sie erkannten die grauen Nachbarn und freuten sich sie wiederzusehen.

„Wie schön ist es zu leben und zu blühen, alte Freunde bei sich zu sehen, und jeden Tag in freundliche Gesichter zu blicken! Hier ist es, als sei jeder Tag ein großer Festtag.“

„Piep!“ sagten die Spatzen, „ja, das sind die alten Nachbarn. Ihrer Herkunft vom Dorfteiche erinnern wir uns recht wohl! Piep, wie sie zu Ehren gekommen sind! Manche kommen im Schlafe dazu. Denn was an so einem roten Klumpen Schönes sein soll, weiß ich nicht! – Und da sitzt ein vertrocknetes Blatt, das sehe ich ganz genau!“

Dann zupften sie solange daran, bis das Blatt abfiel, und frischer und grüner stand der Strauch, und die Rosen dufteten im Sonnenschein auf Thorwaldsens Grab, an dessen unsterblichen Namen sich ihre Schönheit anschloss.

Hans Christian Andersen 

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