Es war einmal ein kleiner Junge, der allein am Rande eines Waldes lebte. Jede Nacht, wenn der Mond am Himmel stand, warf der Wald große, dunkle Schatten auf das Haus, und der Junge fürchtete sich. In seinem Zimmer lag er wach, während sein Herz schneller schlug, und er stellte sich vor, was sich in den Schatten verbergen könnte.
Eines Abends, als die Dunkelheit hereinsank, beschloss er, nicht mehr wegzusehen. Stattdessen ging er langsam zum Fenster, öffnete es und schaute hinaus. Der Wind strich sanft durch die Bäume, aber die Schatten schienen näher zu rücken. Sein Atem stockte.
In diesem Moment hörte er eine Stimme, leise, fast flüsternd: „Warum fürchtest du dich?“
Der Junge sah sich um, aber niemand war da. Er antwortete zögernd: „Weil ich nicht weiß, was in den Schatten auf mich wartet.“
Die Stimme entgegnete: „Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben. Es bedeutet, weiterzugehen, auch wenn die Angst da ist. Tritt hinaus in die Nacht und sieh, was wirklich vor dir liegt.“
Zitternd, aber entschlossen, trat der Junge aus seinem Haus. Jeder Schritt fühlte sich schwer an, als würde er gegen unsichtbare Widerstände ankämpfen. Doch er ging weiter, näher zu den Schatten am Rand des Waldes. Und als er dort ankam, sah er plötzlich, dass die Schatten nichts anderes waren als die Silhouetten von Bäumen, vom Mondlicht beleuchtet. Es gab keine Monster, keine Gefahren – nur seine eigene Angst, die ihn zurückgehalten hatte.
Mit einem Lächeln auf den Lippen stand er dort, mitten in der Dunkelheit, und fühlte, wie der Mut in ihm wuchs. Er hatte nicht die Angst besiegt, sondern gelernt, mit ihr zu leben – und sie hatte ihn nicht aufgehalten.
Interpretation: Mut bedeutet nicht die Abwesenheit von Angst
Diese Geschichte zeigt, dass Mut nicht darin besteht, keine Angst zu haben, sondern trotz der Angst weiterzumachen. Wir alle haben unsere eigenen Schatten, unsere eigenen Ängste, die uns zurückhalten. Doch wenn wir den Mut finden, ihnen zu begegnen, erkennen wir oft, dass sie nicht so bedrohlich sind, wie wir dachten. Der wahre Mut liegt darin, sich der Angst zu stellen und zu erkennen, dass sie uns nicht definiert.
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