Neben dem Laden war noch ein Stübchen, klein und trübselig wie der Laden selbst; darin standen das kleine Bettchen, indem Margret schlief, und hinter einem grünen Vorhang die Betten der Eltern. In einem davon lag schon viele Monate lang der kranke Vater, und es sah aus, als werde er wohl nicht mehr aufstehen. Der Vater war einmal Diener und Gehilfe bei einem reichen Kaufmann gewesen; dort war ihm beim Abladen von einem Wagen ein Fässchen auf die Brust gefallen und seither war er nicht wieder gesund worden. Da er keine Dienste mehr leisten konnte, so hatte ihm der Kaufmann geholfen, dass er den kleinen Laden mieten konnte; er war nicht lange im Stande gewesen, selbst darin zu verkaufen, seit zwei Jahren schon musste die Mutter alles darin allein tun.
Die kleine Margret trippelte dann wohl oft zu ihm hinein und bracht ihm Wasser oder etwas Zucker, wenn sein Husten so schlimm wurde, sie saß auch manchmal an seinem Bett und er erzählte ihr mit seiner schwachen Stimme; aber es wurde ihr etwas bang in der dunklen Stube und sie wollte lieber wieder heraus in den Laden. „Weißt du, Vater,“ versicherte sie ganz ernsthaft, „die Mutter hat so arg viel zu schaffen; da muss ich ihr helfen, sie wird sonst gar nicht fertig.“
„Armes Kind!“ seufzte der Vater für sich.
„Wir sind nicht arm, wir haben viel, viel Kreuzer,“ tröstete ihn Margretchen, „in dem Loch im Tisch draußen.“
Heute war ein gar geschäftiger Tag im Laden, die Mutter hatte noch wenig Zeit gehabt, nach dem kranken Vater zu sehen oder nach der kleinen Margret; die trippelte heute besonders emsig hin und her, und so oft jemand aus dem Laden ging, lief sie nach bis unter die Tür und schaute hinaus; draußen aber wehte ein scharfer, kalter Wind und Margretchen kam ganz erfroren mit einer roten Nasenspitze wieder herein.
„Aber, Kind, so bleib‘ doch im Laden!“ rief die Mutter, „Du erfrierst ja draußen.“ „O Mutterchen,“ sagte die Kleine, „heut ist’s Christabend! und Nachbars Röschen hat mir gesagt, dass jetzt das Christkind durch die Straßen geht in einem silbernen Kleidchen mit goldenen Flügelein, und neben ihm geht das Palmeselein, das hat silberne Körbchen anhängen, darin sind schöne Sachen für liebe Kinder. Und, Mutterchen, alle Fenster werden goldig hell von vielen Lichtern, o lass mich nur hinaus und ein bisschen sehen! Draußen ist’s noch nicht so dunkel wie im Laden.“ Die Mutter zündete die dünne Lampe an und legte freundlich ihre Hand auf Margrets Köpfchen. „Bleib nur bei mir, Kind!“ sagte sie; „draußen ist’s so kalt und du würdest verloren gehen auf der dunklen Straße. Wenn du fein artig bist, so kommt das Christkind vielleicht auch zu dir; jetzt hilf mit nur, da sitz‘ auf deinem Schemel! sieh, da hast du ein Körbchen mit lauter Büschelein von kleinen Lichtern: das sind Christtagslichtchen, die verkauft man nicht. Jedem Kind, das etwas kauft, darfst du so ein Büschelein schenken.“
Das war nun eine Freude für Margretchen. Es kamen viele Kinder, fast lauter elend und ärmlich gekleidet, die alle wenig vom Christabend wussten. Eins holte um einen Kreuzer Schnupftabak für seinen Vater, oder ein wenig Öl in die Lampe, ein anderes ein Lot Kaffee und Zucker, für ein paar Kreuzer Butter oder Schmalz; wie sprang da die Kleine, um jedem sein Päckchen Lichtchen zu geben und lachte vor lauter Vergnügen, wenn die Kinder sich so freuten über die schönen Lichtlein! Margaretchen war auch dürftig gekleidet, doch reinlich und sorgfältig, die Mutter hatte ihr Schürzchen noch zierlich mit alten Bändern aufgeputzt; so kam sie den ärmlichen, zerlumpten Kindern wie ein kleines Fräulein vor.
So lang Margret Lichter verteilte und die Mutter emsig Kunden bediente, war der kranke Vater in dem kleinen Ladenstübchen auch geschäftig gewesen. Die Mutter hatte ihm ein Tischchen vors Bett gerückt, da hatte er allerlei zu rüsten, was Margaretchen nicht sehen durfte, man hatte deshalb die grünen Vorhänge an dem Fensterlein zugezogen, das in den Laden ging. Die Kleine hatte im lauteren Eifer mit ihren Christtagsklichtern vergessen, dass sie hatte hinaus wollen und das Christkind sehen und die hellen Fenster; es war ihr nur bang, ob ihre Lichtlein reichen würden für alle Kinder; sie hatte jetzt nur noch ein Päckchen schöne rote im Körbchen, das Ladenglöcklein schellte aber immer seltener. Noch ein zerlumpter Knabe kam mit einem kleineren Mädchen und holte etwas Brennöl. „Kriegst du auch einen Christtag daheim?“ fragte Margretchen. „I net,“ sagte der und schüttelte traurig den Kopf; „meine Mutter hat nichts und mein Vater trinkt Branntwein.“
„Komm, ich will dir die Lichtlein schenken,“ sagte Margaretchen wichtig.
„Was tut man damit?“ fragte der Knabe, noch trotzig. „Sieh, da hast du ein wenig weichen Lehm,“ sagte die Mutter, „da kannst du sie aufkleben und anzünden, musst nur hübsch Achtung geben damit;“ und sie zündete ihm eins der dünnen Lichtchen an.
„Und ich hab eigne Lichtlein und kann selber hell machen in unserer Stube!“ rief jetzt der Bube auf einmal im höchsten Jubel, „heidideldum!“ und er machte einen Satz fast bis an die Decke, dass Margretchen hell auflachte vor Freude. Dem kleinen Mädchen schenkte die Mutter noch ein Stückchen Zuckerkandis, der Bub hätte fast in der Freude sein Öl vergessen. „Komm nur, Kätterle,“ rief er eilig, und nahm das Schwesterchen auf den Arm, „jetzt wird’s schön daheim! Lichtlein haben wir!“ und Margretchen sah ihnen vergnügt nach. Im Laden war’s nun still, drinnen aber rief der Vater: „Komm herein Margret!“ Da schaute die Kleine hoch auf, wie die Tür aufging; da drinnen war es so hell, so
schön und auf dem Tisch stand ein Bäumchen mit viel Lichtern und darunter eine Puppe in einem roten Kleidchen, die hatte die Mutter gemacht, tief in der Nacht, wenn Margret fest schlief und der Mutter fast die Augen zugefallen waren vor Schlaf. Es waren auch ein paar kleine Schüsselchen und Töpfchen dabei; darin waren Zucker und Rosinen, dass sie kochen konnte, und ein Schäfchen, das der Vater selbst aus Lehm und Baumwolle gemacht und mit Stückchen von Goldpapier verziert hatte; es sperrte freilich seine geraden Füße, die aus Schwefelhölzern bestanden, seltsam auseinander, aber der Kleinen gefiel es doch gar zu wohl. Voriges Jahr, da war der Vater so schwer krank gelegen, dass man keinen Baum hatte anzünden können, so war’s, als ob Margretchen zum ersten Mal im Leben einen Christbaum sähe, und sie schlug in die Händchen und hüpfte vor Freude und wagte noch gar nicht, die schöne Puppe, die so vornehm aussah, als ihr eigen zu betrachten; sie hatte seither nur eine hölzerne gehabt, die früher an einem Butterfass gerührt hatte und jetzt nur noch die leeren Arme ausstreckte, und nicht nur ihr Butterfass, sondern später auch den Kopf verloren hatte.
Als der erste Jubel der kleinen vorüber war und die Lichtlein so allmählich herunter brannten, da setzte sie die Mutter auf den Stuhl neben des Vaters Bett und der Vater erzählte ihr die alte, schöne Geschichte vom lieben Heiland, wie er in der ersten Weihnacht zur Welt gekommen und als ein armes kleines Kindlein in einem Stalle gelegen sei, und wie er nun in aller Herrlichkeit und Seligkeit des Himmels noch an alle Kinder denke auf der weiten Welt; wie man ihnen den Christbaum anzünde als ein Zeichen, dass ihnen droben im Himmel einmal noch viel, viel größere Herrlichkeit und Lieblichkeit bereitet sei beim lieben Gott, wenn sie ein fromm und folgsam Herzlein bewahren. Als die Lichtlein erloschen waren und die Mutter Margret in ihr Bettlein gelegt, da betete sie noch mit ihr das schöne Lied: „Halleluja, denn uns ist heut ein göttlich Kind geboren,“ das Kind war müde vor lauter Freude, kaum konnte sie noch den Schluss sagen:
Liebster Heiland Jesus Christ,
Der du unser Bruder bist,
Dir sei Lob, Preis und Ehre!
so schlief sie schon ein.
Auch die arme Mutter war gar schwach und müde, sie konnte kaum noch den Kranken sein Tränklein bereiten für
die Nacht und ins Bett kommen; sie schlief schwer und unruhig. Der Vater konnte nicht schlafen, sein husten plagte ihn so; er faltete seine mageren Hände und betete leise, der
liebe Gott wolle sich seines Kindes annehmen, wenn es vielleicht bald allein sein sollte auf dieser Welt.
Ottilie Wildermuth