Am folgenden Morgen ging ich wieder auf den Sammelplatz der Arbeiter; aber ich fand ihn nicht, und als ich nach ihm fragte, sagte man mir, er komme nur jeden Sonnabend. Ich ging Sonnabends wieder, um ihn aufzusuchen, und fragte ihn, ob er in Gottes Namen wieder bei mir arbeiten wolle? Er sagte: „Recht gerne, nach den dir wohlbekannten Bedingungen.“ Ich nahm ihn mit nach Hause und fĂŒhrte ihn an die Arbeit. Da bemerkte ich, ohne von ihm gesehen zu werden, wie er nur eine Hand voll Lehm auf die Mauer warf und plötzlich alle Steine fest aufeinander saĂen, und ich dachte: Solche Kraft haben nur die Heiligen. Er arbeitete an diesem Tage noch mehr als frĂŒher, und des Abends gab ich ihm seinen Lohn, mit dem er fortging.
Am dritten Sonnabend wollte ich ihn wieder holen, fand ihn aber nicht, und als ich nach ihm fragte, hörte ich, er sei krank und liege auf dem BegrĂ€bnisplatze in dem Zelt einer alten Frau, die durch Frömmigkeit berĂŒhmt war. Ich ging nach dem Zelt und fand ihn darin auf dem Boden liegend, ohne Etwas unter sich zu haben. Ich grĂŒĂte ihn und setzte mich ihm zu HĂ€upten und weinte ĂŒber seine Jugend, die er so in der Fremde zubringen musste. Ich fragte ihn dann, ob ich ihm irgend einen Dienst erweisen könnte? Er sagte: „Ja wohl; wenn du morgen mich wieder besuchst, so wirst du mich tot finden, wasche mich dann, hĂŒlle mich in den Oberrock, den ich anhabe, und beerdige mich, ohne Jemanden etwas von mir zu sagen. Doch ehe du mich beerdigst, nimm aus den Taschen meines Oberkleides, was darin ist. Wenn mich dann die Erde bedeckt und du fĂŒr mich gebetet hast, so reise nach Bassrah und gib dem Chalifen Harun Arraschid, was du in meiner Tasche findest, und grĂŒĂe ihn von mir, sage ihm auch, dass ich bis zur Todestunde mich nach ihm gesehnt, dass weder Hass noch Ăberdruss mich von ihm getrennt, dass ich nur darum in die Fremde wanderte, weil meine Seele zu fern von seiner Welt stand.“ Dann rezitierte er noch folgende Verse:
„O Freund, lass dich durch die Annehmlichkeiten des Lebens nicht verblenden: das Leben ist nicht von Dauer und seine Freuden vergehen bald; hast du je das Schicksal eines Volkes gekannt, so wisse, das du einst darnach gefragt wirst, und hast du je eine Leiche ins Grab gefĂŒhrt, so bedenke, dass man auch dich dahin tragen wird.“
Nachdem er mich durch diese Verse ermahnt hatte, verlieĂ ich ihn, und als ich ihn am folgenden Morgen wieder besuchte, war er tot (Gottes Erbarmen sei mit ihm); ich wusch ihn, öffnete seine Taschen und fand einen Rubin darin, der eine Millionen Dinare wert war, da dachte ich. Bei Gott, der JĂŒngling hat der Welt vollkommen entsagt! Ich reiste dann nach Bassrah, begab mich vor den Palast des Chalifen und wartete, bis Harun Arraschid herauskam; dann trat ich ihm in den Weg und gab ihm den Rubin. Sobald er ihn sah, fiel er in Ohnmacht. Die Diener hielten mich an; aber als er zu sich kam, sagte er ihnen, sie möchten mich nur loslassen, lieĂ mich ins Schloss fĂŒhren, und als ich in seinem Zimmer war, fragte er mich: „Was hat Gott ĂŒber den EigentĂŒmer dieses Rubin verhĂ€ngt?“ – „Er ist gestorben,“ antwortete ich, und erzĂ€hlte ihm, was ich von ihm wusste. Da schrie er schluchzend: „Der Sohn hat das Bessere gewĂ€hlt und der Vater wird zu Schande!“ Dann rief er einen Frauennamen; da trat eine Frau heraus, die, als sie mich sah, wieder zurĂŒcktreten wollte; aber der Chalif sagte ihr: „Bleibe nur, du brauchst vor diesem Mann dich nicht zu verbergen,“ und warf ihr den Rubin zu. Sobald sie ihn sah, stieĂ sie einen Schrei aus und fiel in Ohnmacht. Als sie wieder zu sich kam, sagte sie: „O FĂŒrst der GlĂ€ubigen! was hat Gott ĂŒber meinen Sohn verhĂ€ngt?“ Der Chalif bat mich, es ihr zu sagen, denn er konnte vor TrĂ€nen nicht sprechen. Als ich ihr seinen Tod erzĂ€hlte, weinte sie und rief mit herzzerreiĂender Stimme: „O wie sehne ich mich nach dir, Freude meines Auges, o könnte ich dir doch zu trinken geben, wenn Niemand es tut! O könnte ich dich doch unterhalten, wenn es dir unheimlich wird!“ Ich sagte dann: „O FĂŒrst der GlĂ€ubigen, war denn dieser JĂŒngling dein Sohn?“ – „Ja wohl,“ antwortete Harun Arraschid, „er besuchte oft die Gelehrten und Frommen, ehe ich zum Chalifen erhoben worden, sobald ich aber die Regierung antrat, wollte er sich von mir entfernen; da sagte ich zu seiner Mutter: „Dein Sohn will abgeschieden von uns nur Gott allein leben; er wird gewiss hart geprĂŒft werden und in groĂe Not kommen, gib ihm daher diesen Rubin, damit er in der Not Etwas habe; ich gab ihr also diesen Rubin, und sie drang in ihn, bis er ihn annahm; so verlieĂ er uns, und wir haben ihn nicht wiedergesehen, bis er aus unserer Welt geschieden, um mit reiner Seele vor seinen erhabenen Herrn zu treten.“
Dann sagte der Chalif: „Komm mit mir und zeige mir sein Grab!“ Als wir dort anlangten, weinte und seufzte er so lange, betete fĂŒr seinen Sohn und rief: „Wir sind Gottes und zu ihm kehren wir zurĂŒck.“ Dann bot mir der Chalif eine Stelle an, ich schlug sie aber ab und sagte: „Ich habe eine Lehr von deinem Sohne angenommen,“ und rezitierte folgende Verse:
„Ich bin ein Fremdling, gehöre Niemanden an, wo ich auch weile; ich bin ein Fremdling, habe weder Frau noch Kind; meine Herberge sind die Moscheen, von denen nie mein Herz sich trennt, und dafĂŒr danke ich Gott, dem Herrn der Welten.“
aus 1001 NachtÂ
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