Vor langen, langen Jahren lebte in einem Dorfe ein altes Ehepaar. Trotz ihrer Armut hätten die beiden alten Leute recht zufrieden leben können, wenn sie nur Kinder gehabt hätten. Aber die fehlten ihnen, und so sehr sie sich dieselben auch Zeit ihres Lebens gewünscht hatten, so war ihnen doch dieser Wunsch versagt geblieben. So verbrachten sie ihre Tage einsam und allein und grämten sich oft so sehr, dass selbst die Nachbarn ihren Kummer teilten, sich mit ihnen betrübten und sie nach Kräften zu trösten suchten. Da begab es sich eines Tages, dass das alte Mütterchen aus der Hütte heraustrat und zum Flusse hinabging. Die Sonne schien hell, und der breite Strom trieb das klare Wasser rauschend über die Steine daher. Mütterchen hatte ein Bündel schmutziger Kleider mitgebracht, das sie nun löste, und emsig ging sie an das Waschen der Kleider. Sie war ganz vertieft in ihre Arbeit und achtete auf nichts weiter, als plötzlich auf dem Wasser eine große schöne Pfirsiche gerade auf sie zu geschwommen kam. Freudig griff sie danach; ach, selten gab es wohl eine so herrliche, schöne und reife Frucht wie diese. Sie war dick und rund und strahlte rosig in der Sonne. Nun denkt ihr wohl, das alte Mütterchen hätte sogleich die schöne Pfirsiche gegessen? Nein, das tat sie nicht, sie legte sie beiseite und dachte sogleich an ihren guten alten Mann zu Hause; der sollte auch davon etwas bekommen! Und als die Arbeit beendet war, ging sie heim und gab dem alten Manne die Pfirsiche; der freute sich nicht wenig über den schönen Fund, holte ein Messer und schnitt die Frucht vorsichtig in zwei gleiche Theile. Und was geschah nun? Zu dem größten Erstaunen der beiden Alten sprang ein wunderhübsches, munteres Knäblein daraus hervor. Und das war eine Freude, so groß, das sie nicht zu beschreiben ist. Nun hatten die alten einsamen Leute plötzlich einen Sohn, den sie sich so lange gewünscht hatten, und sie dankten den Göttern inbrünstig für die unverhoffte Gnade. Zur Erinnerung an seine wunderbare Auffindung nannten sie ihn Momotaro, das heißt Pfirsichjunge. Sorgfältig zogen sie ihn auf, und er ward ein schöner Jüngling, begabt mit allen Tugenden eines guten Menschen, die Stütze und der Stab ihres Alters. Momotaro liebte seine guten Eltern ebenso sehr, als diese ihn liebten, und war ihnen so dankbar, dass er Tag und Nacht daran dachte, ihnen alle ihre Liebe und Aufopferung zu vergelten, sie recht glücklich zu machen und vor allen Dingen ihre ärmlichen Verhältnisse in bessere zu verwandeln. Er grübelte fortwährend darüber, wie er es wohl anfangen sollte, Reichtümer für seine Eltern zu erwerben, und nahm sich vor, eine Wallfahrt nach berühmten Tempeln anzutreten, um sich dort Raths zu erholen. Doch bevor er noch diesen Entschluss ausführte, hatte er einen so lebhaften Traum, dass er sich nur danach zu richten beschloss und alle anderen Pläne aufgab.
Nahe bei seinem Wohnorte nämlich lag eine Insel im Meere, welche niemand betrat, denn dieselbe war ausschließlich von bösen Geistern bewohnt. In Japan heißen solche bösen Geister Oni, weshalb auch diese gefürchtete Insel Onigaschima, Insel der bösen Geister, genannt wurde. Nun ging die Sage, dass die Oni, welche dort hausten, in ihren Höhlen ungeheure Schätze aufgehäuft hätten, die sie streng bewachten, und der Geist, dem die Wache hauptsächlich oblag, hieß Monban. Momotaro hatte nun geträumt, er sei nach dieser Insel gefahren, hätte alle die bösen Geister besiegt und ihre Schätze erobert. Was aber die Hauptsache war und ihn vornehmlich in der Absicht bestärkte, die Fahrt nach Onigaschima zu wagen, war der Götter Gunst, die ihm im Traume bei seinem Unternehmen zu teil ward; denn in Gestalt von allerlei Tieren halfen ihm die Götter glücklich alle Gefahren bestehen und den Sieg gewinnen.
Das erste, was Momotaro nun tat, war, dass er sich in der Kunst übte, Waffen zu führen und besonders eine schwere Keule zu schwingen, und als er dies verstand, ging er zu seinen Eltern und sagte ihnen, was er zu tun beschlossen hätte. Ganz bestürzt hörten sie ihn an und waren tief betrübt, dass sie ihren lieben Jungen verlieren sollten; sie baten ihn, doch ja sein Vorhaben aufzugeben und weinten, wenn sie daran dachten, wie furchtbar die Gefahren wären, denen er entgegen ginge. Als aber Momotaro dennoch darauf bestand, sein Abenteuer zu wagen, als er ihnen vorstellte, der Traum habe ihm ja der Götter Gunst und Hilfe zugesagt, da dachten sie an den schönen Tag, wo er ihnen aus der Pfirsiche entgegengesprungen war, und gaben ihre Einwilligung; die Götter, das war ihr Trost, würden dem Sohne, welchen sie ihnen auf so wunderbare Weise geschenkt hatten, auch ihren Schutz nicht versagen.
Momotaro rüstete sich also zum Abschiede, und seine Eltern bereiteten eine Menge köstlicher Klöße aus Hirse, die sie ihm auf seine Reise mitgaben, damit er seinen Hunger stillen könnte. Und als nun alles in Bereitschaft war, sagte der gute Sohn seinen Eltern Lebewohl und ging von dannen.
Wohlgemuth zog er seines Weges dahin, als ihm ein Hund entgegenlief. Zutraulich wedelte dieser mit dem Schwanze und sprang bellend an Momotaro in die Höhe, als er sah, dass derselbe sich seines Anblicks freute. »Lass mich mit dir ziehen,« sprach der Hund, »ich will dir nützlich sein auf deiner Reise und dir treu dienen, wenn du mir etliche von deinen schönen Klößen abgeben willst.« Momotaro erfüllte diesen Wunsch sofort; er gab ihm einige Klöße und ließ ihn neben sich herlaufen. Nicht lange waren sie zusammen gewandert, so begegnete ihnen ein Affe, der sie freundlich grüßte und Momotaro fragte, wohin er mit all seinen vielen Waffen reisen wolle. Dieser erwiderte, dass er gegen die Insel der bösen Geister ausziehen und ihre Schätze erobern wolle, um sie seinen Eltern als Lohn für alle Wohltaten zu bringen. »Dann will ich mit dir ziehen und dir helfen,« sagte der Affe, »du wirst mir gewiss dafür auch gern etwas von deinen schönen Klößen schenken, nicht wahr?« – »Gewiss, die sollst du haben,« entgegnete Momotaro und gab ihm sofort in voller Freude eine große Portion, und als der Affe sie aß, schmeckten sie ihm so gut, dass er seinen Freund, den Fasan herbeirief, der davon kosten musste. Der Fasan, der ganz in der Nähe war, flog herbei und labte sich an der köstlichen Speise, und als er hörte, wohin die Reise gehe, bat er Momotaro, auch ihn mit zu nehmen; er wolle vereint mit seinem Freunde, dem Affen, und mit dem Hunde ihm beistehen, die schreckliche Insel zu erobern. Momotaro war es zufrieden, und so zogen sie alle vier getrost und mutig dem Strand entgegen. Als sie denselben erreicht hatten, war freilich ein Boot vorhanden, das sie hinüber zur Insel bringen konnte, aber es lag weit im tiefen Wasser und war an einen Pfahl gebunden. Was war zu tun? Momotaro sann vergebens, wie er sich helfen sollte. Da aber wusste der Affe Rath; er sagte dem Hunde: »Du kannst ja schwimmen! Also rasch, begib dich ins Wasser; ich springe auf deinen Rücken, du trägst mich zu dem Kahne und wir holen ihn zusammen hierher ans Ufer«. Gesagt, getan; der Hund trug den Affen auf seinem Rücken durch das Wasser zum Kahne hin, der Affe löste das Tau und gab es dem Hunde ins Maul, freudig und stolz schwamm der Hund zurück ans Ufer und brachte so den Kahn ans Land. Nun stiegen sie alle außer dem Fasanen ein; dieser aber flog voran zu der Insel hinüber, um einen guten und sicheren Platz auszukundschaften, wo sie unbemerkt landen könnten. Die bösen Geister durften sie nicht sehen und vor allen Dingen den Kahn nicht; denn wie hätten sie ohne diesen, wenn sie die Schätze eroberten, dieselben fortschaffen wollen? Momotaro lobte den Fasan für seine Vorsicht und ließ ihn vorauf fliegen, und Dank seiner umsichtigen Führung konnten sie nicht allein ungesehen und gefahrlos landen, sondern der Fasan brachte sie auch gleich zum Eingange der großen Höhle, die er bald ausgekundschaftet hatte.
Momotaro schlug mit seiner Keule gegen die eiserne Pforte der Höhle, aber keine Antwort erfolgte. Ungeduldig und zornig zerschmetterte er die Thür und trat ein. Aber wie staunte er über den Anblick! Er hatte erwartet, an einen finstern, grausigen Ort zu gelangen, und nun fand er das Gegenteil; es war ein prächtiger, heller und glitzernder Palast, in den er eintrat. Hier sollte das Oberhaupt der bösen Geister hausen? Momotaro war ganz verwirrt, doch seine Begleiter ließen sich nicht irre machen und brachten auch ihn bald wieder zur Besinnung. Der Fasan flog abermals voraus, weit in den Palast hinein, der Affe kletterte auf das Dach, der Hund kroch unter den Fußboden, um zu sehen, wo wohl die Schätze versteckt wären, und während er dies glücklich herausfand, waren Affe und Fasan auch nicht müßig, und alle drei kehrten bald zu ihrem harrenden Herren mit guter Botschaft zurück. Momotaro, von allem unterrichtet, schritt geraden Weges auf das Zimmer des Oberhauptes der bösen Geister los, und da unzählige kleine Kobolde ihn hindern wollten, schlug er so kräftig um sich und bläute sie so wacker durch, dass sie schleunigst die Flucht ergriffen. Nun brach Momotaro ohne Zögern in das Gemach des obersten bösen Geistes ein, und der gräuliche Oni wurde sehr zornig, als er seiner ansichtig ward. Er rief seine Dienerschar und befahl ihr, ihm zu helfen; doch es ließ sich niemand sehen, und Momotaro schlug kräftig auf ihn ein. Der Affe aber, der wohl einsah, dass der große Geist stärker war, als Momotaro, sprang ihm flugs auf den Rücken und hielt ihm die Augen zu, so dass er seinen Gegner nicht sehen konnte, und der Hund war auch nicht faul, sondern biss den bösen Oni tüchtig in die Beine, während der Fasan draußen die anderen Geister fern hielt und jedem, der sich in die Nähe wagte, die Augen aus pickte. So geschah es, dass der arg bedrängte große Oni gar bald um sein Leben bat. Momotaro versprach, dasselbe zu schonen, wenn er ihm alle kostbaren Schätze der ganzen Insel geben wolle. Das versprach der böse Geist denn auch und gab sie in der Tat sofort heraus. Die Diener, obgleich vom Fasan des Augenlichts beraubt, mussten sie alle in den Kahn schleppen, und als sie damit fertig waren, schiffte sich der junge Held mit seinen drei Gefährten vergnügt und froh ein.
Die Reise verlief glücklich, und als sie anlangten, da war die Freude der Eltern Momotaros über die Maßen groß, am größten darüber, dass sie ihren geliebten Sohn glücklich und gesund wiedersahen. Doch waren sie auch sehr zufrieden damit, dass er so reiche und kostbare Schätze von der Insel der bösen Geister mitgebracht hatte. Da war Gold und Silber in Fülle, köstliches Gestein und Gewand, auch zauberhafte Schätze, ein Mantel und ein Hut, die jeden, der sie trug, unsichtbar machten, und noch viel andere wunderbare und seltene Dinge. Nun konnten sie alle ohne Sorge leben, und Momotaros Ruhm zog durch die ganze Welt.
Auch eine wunderschöne Prinzessin, die in einem großen, herrlichen Garten wohnte, hörte von ihm, aber da Momotaro sie nicht kannte, so konnte er auch nicht wissen, wie sehnlich sie sich ihn zum Gemahle wünschte. Der Fasan aber, der weit im Lande herumflog, kannte sie und erriet sehr bald ihre Wünsche, von denen er Momotaro erzählte, und dieser war so glücklich über die Nachricht, dass er sogleich seine Mutter zu der Prinzessin sandte und um ihre Hand bitten ließ. Die Prinzessin war voller Freude über die Botschaft und zögerte nicht einen Augenblick, einen so schönen, tapferen Mann, wie Momotaro war, zum Gemahle zu nehmen.
Dem alten, guten Ehepaar blieb nun nichts mehr zu wünschen übrig, und so verlebten sie alle miteinander noch lange, glückliche Tage. Momotaro aber hielt den Hund, den Affen und den Fasan hoch in Ehren und behielt sie zu Freunden bis an sein Lebensende.
Märchen aus Japan
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