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"Das Leben besteht nicht darin, zu warten, dass der Sturm vorbeizieht, sondern zu lernen, im Regen zu tanzen."

Des Schlammkönigs Tochter – ein Märchen von Hans Christian Andersen

Des Schlammkönigs Tochter - ein Märchen von Hans Christian Andersen
Des Schlammkönigs Tochter - ein Märchen von Hans Christian Andersen

Die Störche erzählen ihren Kleinen gar viele Märchen, alle aus dem Moore und Röhricht; sie sind in der Regel dem Alter und der Befähigung angemessen; die kleinsten Jungen sind zufrieden, wenn »kribbel, krabbel, plurremurre« gesagt wird, das finden sie schon ausgezeichnet; allein die älteren wollen einen tieferen Sinn, oder wenigstens etwas von der Familie wissen. Von den beiden ältesten und längsten Märchen, welche sich bei den Störchen erhalten haben, ist uns allen das eine, das von Moses bekannt, den seine Mutter in den Nil aussetzte, der von des Königs Tochter aufgefunden wurde, eine gute Erziehung geno und ein großer Mann ward, von dem man später nicht weiß, wo er begraben liegt. Das ist gewöhnlich!

Das zweite Märchen ist noch unbekannt, vielleicht weil es fast ein inländisches Märchen ist. Es ist von Mund zu Mund, von Storchmama auf Storchmama, Tausende von Jahren hindurch gegangen, und eine jede von ihnen hat es besser und besser erzählt, und wir erzählen es nun am besten.

Das erste Storchenpaar, welches dieses brachte und sich in dasselbe hineinlebte, hatte seinen Sommeraufenthalt auf dem Balkenhause des Vikings, welches an dem Wildmoore in Wendsyssel, das heißt, wenn wir aus der Fülle unserer Kenntnisse reden wollen, hart an der großen Moorhaide im Kreise Hjörring, oben am Skagen, der Nordspitze von Jütland liegt. Die Wildniß dort ist noch immer ein ungeheures, weites Moorhaideland, von dem zu lesen steht in der amtlichen Kreisbeschreibung. Ehemals, heißt es, sei hier Meeresgrund gewesen, der sich gehoben habe; jetzt erstreckt sich das Moorland meilenweit nach allen Seiten, umgeben von feuchten Wiesen und schwankendem, gleichsam zitterndem Sumpfgrunde, von Torfmoor mit Blaubeeren und verkrüppelten Bäumen. Fast immer schwebt der Nebel über dieser Landschaft, und vor siebzig Jahren hausten hier noch die Wölfe. Freilich heißt sie mit Fug und Recht das »Wildmoor«, und man kann sich leicht denken, wie öde und unwegsam es hier sein mag, wie viel Sumpf und See hier vor tausend Jahren gewesen! Ja im Einzelnen erblickte man damals hier gerade, was noch zu sehen ist: das Röhricht hatte dieselbe Höhe, trug dieselbe Art lange Blätter und bläulich brauner Federbüschel, die es jetzt noch tragt, die Birke stand da mit ihrer weißen Rinde und ihren feinen, lose herabhängenden Blättern, wie jetzt, und was die lebenden Wesen, die hier verkehrten, betrifft, – ja, die Fliege trug ihr Florkleid von demselben Schnitte wie jetzt, die Lieblingsfarbe des Storchs war Weiß mit Schwarz und roten Strümpfen; dagegen hatten die Menschen damals einen anderen Rockschnitt, als heut zu Tage, aber jeden, mochte er Jäger oder Knappe, Herr oder Knecht sein, jedweden, der auf das schwankende, schaukelnde Moorland hinaustrat, ereilte vor tausend Jahren, wie heut zu Tage denjenigen, der es zu betreten wagt, dasselbe Schicksal: er versank und ging hinab zu dem Schlammkönige, wie sie ihn nannten, der unten in dem großen Moorreiche herrschte. Gungelkönig könnte man ihn auch nennen, aber uns gefällt Schlammkönig besser, und so nennen ihn auch die Störche. Gar wenig weiß man von des Schlammkönigs Regierung, allein das ist vielleicht gut.

In der Nähe des Moorlandes, hart an dem großen Meeresarme der Nordsee und des Kattegatt, der Lymfjorden heißt, lag das Balkenhaus des Vikings mit seinen steinernen, wasserdichten Kellern, mit seinem Turme und seinen drei absätzigen Stockwerken; auf dem Dachfirste hatte der Storch sein Nest gebaut, und Storchmama brütete dort die Eier und war ihrer Sache gewiß, daß ihr Brüten zu etwas führe.

Eines Abends blieb Storchpapa sehr lange aus, und als er nach Hause kam, sah er merkwürdig aufgebustert und eilfertig aus.

»Ich habe Dir etwas Entsetzliches mitzuteilen!« sagte er zur Storchmama.

»Laß das bleiben!« sagte sie, »bedenke, daß ich Eier ausbrüte, es könnte mir schaden und alsdann wirkt das auf die Eier!«

»Du mußt es wissen!« fuhr er fort, »Sie ist hier angelangt, die Tochter unseres Wirtes in Ägypten; sie hat es gewagt, die Reise hier herauf zu machen, – und dahin ist sie!«

»Sie, die dem Geschlechte der Feen entsprungen! So erzähle doch! Weißt Du doch, daß ich es nicht vertrage, lange zu warten in der Zeit, wo ich brüte!«

»Siehst Du, Mütterchen! Sie hat doch an das geglaubt, was der Doctor sagte und was Du mir erzähltest; sie hat daran geglaubt, daß die Moorblumen hier oben ihrem kranken Vater Heilung bringen würden, sie ist im Schwanengefieder, in Begleitung der anderen Schwanenprinzessinnen, die jedes Jahr hierher nach dem Norden kommen, um sich zu verjüngen, her geflogen; sie ist hierhergekommen, und dahin ist sie!«

»Du machst alles gar zu weitschweifig!« sagte die Storchmama, »die Eier könnten sich erkälten! Ich vertrage nicht, in solcher Spannung zu sein!«

»Ich habe aufgepaßt!« fuhr Storchpapa fort – »und heute Abend, als ich in das Röhricht ging, dort wo der Sumpfgrund mich tragen kann, kamen drei Schwäne an. Ein etwas an dem Schwunge sagte mir: aufgepaßt, das ist nicht ganz Schwan, das ist nur Schwanengefieder! Ja, Mütterchen, Du hast es am Gefühle, wie ich es habe, Du weißt, ob es der Rechte ist oder nicht!«

»Jawohl!« sagte sie, »aber erzähle von der Prinzessin; ich habe es satt, von dem Schwanengefieder zu hören!«

»Hier, inmitten des Moorgrundes, weißt Du wohl, ist gleichsam ein See« – sprach Storchpapa. »Du kannst einen Zipfel davon sehen, wenn Du Dich ein wenig erhebst; dort, an dem Röhricht und dem grünen Schlicke lag ein großer Erlenstumpf; auf diesen setzten sich die drei Schwäne, schlugen mit den Flügeln und schauten um sich; die eine warf das Schwanengefieder ab und ich erkannte in ihr sogleich unsere Hausprinzessin aus Ägypten. Da saß sie nun ohne irgend ein anderes Gewand als ihr langes, schwarzes Haar; sie bat die beiden anderen, das hörte ich, auf das Schwanengefieder wohl Acht zu haben, wenn sie in die Gewässer hinabtauche, um die Blume zu brechen, die sie dort zu erblicken wähnte. Die andern nickten, hoben das leere Federkleid auf und nahmen es an sich. Ei, was die wohl damit beginnen werden, dachte ich, und sie sorgte sich wahrscheinlich um dasselbe. Sie erhielt Antwort, ja, tatsächliche Antwort: – die Beiden erhoben sich und flogen empor mit ihrem Schwanengefieder. »»Tauche Du nur hinab,«« riefen sie. »»Du wirst nimmermehr Ägypten wieder schauen: Bleib Du in dem Moore hier sitzen!«« und damit zerrissen sie das Schwanengefieder in tausend Stücke, daß die Federn umherstieben, als sei es ein Schneegestöber, – und dann flogen sie, die beiden treulosen Prinzessinnen davon!«

»Das ist ja entsetzlich!« sagte Storchmama; »ich halte es nicht aus, mehr davon anzuhören! – nun, sage mir noch, was dann Weiteres geschah.«

»Die Prinzessin jammerte laut und weinte, ihre Tränen benetzten den Erlenstumpf und – dieser regte sich dabei, denn er war kein eigentlicher Erlenstumpf, sondern der Schlammkönig, er, der in dem Moorgrunde wohnt und herrscht. Ich selbst sah es, wie sich der Baumstumpf umkehrte, und dann war es kein Baumstumpf mehr; lange, schlammige Zweige ragten aus ihm empor wie Arme. Da erschrak das arme Kind heftig und sprang auf und davon. Sie eilte auf den grünen Schlickboden hinüber, allein der vermag nicht einmal mich zu tragen, viel weniger sie; sie versank sogleich und der Erlenstumpf tauchte gleichfalls unter, – der war es, der sie hinab zog. Große schwarze Blasen stiegen aus dem Moorschlamme empor und – jede Spur der beiden war verschwunden. Jetzt ist die Prinzessin in dem Wildmoore begraben, nimmermehr wird sie eine Blume nach Ägypten bringen. Das Herz wäre Dir zersprungen, Mütterchen, hattest Du das gesehen!«

»So etwas solltest Du mir gar nicht in dieser Zeit erzählen, es könnten die Eier dadurch leiden! Die Prinzessin wird sich schon zu helfen wissen! Es springt ihr schon jemand bei! Ja, wäre ich, oder wärest Du es gewesen, oder bloß einer von den Unseren, dann wäre es allerdings aus gewesen!«

»Ich werde aber doch jeden Tag nachsehen, ob etwas passiert,« sagte Storchpapa, und so tat er auch.

Es verstrich lange Zeit, bis er endlich einen grünen Stängel aus dem tiefen Moorgrunde emporschießen sah. Als derselbe den Wasserspiegel erreichte, sproß ein Blatt hervor und entfaltete sich immer breiter; dicht an demselben setzte eine Knospe an, und als der Storchpapa eines Morgens über den Stängel dahin flog, öffnete die Knospe sich durch die Macht der kräftigen Sonnenstrahlen, und im Kelche der Blume lag ein reizendes Kind, ein kleines Mädchen, anzuschauen, als sei es eben aus dem Bade gestiegen. Die Kleine sah der Prinzessin aus Ägypten so sehr ähnlich, daß der Storch im ersten Augenblicke wähnte, es sei wirklich die Prinzessin; als er sich aber besann, fand er es doch wahrscheinlicher, daß es die Tochter derselben mit dem Schlammkönige sein müsse, deshalb ruhe sie denn auch im Kelche der Wasserlilie.

»Aber dort kann sie doch unmöglich liegen bleiben,« dachte Storchpapa, »und in meinem Neste sind wir schon gar zu viel Personen! – doch, mir fällt etwas ein: Die Gemahlin des Vikings hat keine Kinder und wie oft wünschte sie sich ein Kleines! – Heißt es doch immer: der Storch hat das Kleine gebracht, endlich will ich doch einmal Ernst damit machen! Ich fliege mit dem Kinde zu der Vikingsfrau – welchen Jubel wird das dort hervorrufen!«

Der Storch hob das kleine Mädchen aus dem Blumenkelche, flog nach dem Balkenhause, hackte dort mit seinem Schnabel ein Loch in das Glasfenster, legte die reizende Kleine an die Brust der Vikingsfrau, flog darauf zur Storchmama hinauf und erzählte, was er gesehen und getan, und die Storchjungen hörten das mit an, sie waren groß genug dazu.

»Siehst Du also, die Prinzessin ist nicht tot, sie hat die Kleine hier herauf gesandt, und jetzt ist die auch untergebracht.«

»Das habe ich ja von Anfang an gesagt!« rief Storchmama; – »denke aber jetzt auch ein wenig an Deine eigene Familie; die Reisezeit rückt heran; dann und wann kribbelt es mir schon unter den Flügeln! Der Kuckuck und die Nachtigall sind schon fort, und die Wachteln hörte ich sagen, daß sie auch fort wollten, sobald der Wind sich gut an ließe. Unsere Jungen werden sich schon bei dem Manöver brav halten, wenn ich sie sonst recht kenne.«

Die Vikingsfrau war über die Maßen froh, als sie am anderen Morgen erwachte und an ihrer Brust das kleine, reizende Kind erblickte; sie küßte und herzte es, allein es schrie entsetzlich und schlug um sich mit Händen und Füßen, es schien gar nicht erfreut zu sein; endlich weinte es sich selbst in den Schlaf, und als es nun so still da lag, bot es einen gar wunderlieblichen Anblick dar. Die Vikingsfrau war höchst erfreut, fühlte sich gesund an Leib und Seele, ihr war recht leicht ums Herz, und es schien ihr nun auch, als müsse ihr Gemahl und seine Mannen, die abwesend waren, ebenso unerwartet und plötzlich heimkehren, als die Kleine gekommen war.

Sie und das ganze Haus hatten deshalb vollauf zu tun, alles recht schön für den Empfang des Herrn vorzubereiten. Die langen farbigen Tapeten, die sie und ihre Mägde selbst gefertigt, und in welche sie Bilder ihrer Götzen, Odin, Thor und Freia, eingewebt hatten, wurden aufgehangen; die Sklaven putzten die alten Schilder, die zur Ausschmückung dienten, Kissen wurden auf die Bänke und trockenes Holz auf die Feuerstelle in der Mitte der Halle gelegt, damit die Flamme sogleich angefacht werden könne. Die Vikingsfrau selbst legte Hand ans Werk, so daß sie gegen Abend sehr ermüdet war und leicht und schnell einschlief.

Als sie gegen Morgen erwachte, erschrak sie heftig, denn das Kindlein war verschwunden. Sie sprang vom Lager auf, zündete einen Kienspan an und schaute sich rings um im Räume, und siehe, an der Stelle des Lagers, wo sie ihre Füße gestreckt, lag, nicht das Kindlein, sondern ein großer häßlicher Frosch. Es wurde ihr schlimm bei diesem Anblicke; sie ergriff eine schwere Stange, um damit den Frosch zu töten, allein derselbe blickte sie mit so wunderbar betrübten Augen an, daß sie den Schlag nicht zu führen vermochte. Noch einmal spähte sie rings im Zimmer umher, der Frosch ließ ein feines, schmerzliches Quaken hören, sie fuhr dabei zusammen und sprang von der Lagerstätte nach der Luftluke hin und riß dieselbe eiligst auf; – die Sonne trat in diesem Augenblicke hervor, warf ihre Strahlen durch die Luke auf das Lager, auf den großen Frosch, und plötzlich – siehe da, es war, als ziehe sich das breite Maul zusammen, als werde es klein und rot, die Gliedmaßen streckten und reckten sich, und nahmen die schönste Gestalt an, und – es war ihr eigenes kleines, reizendes Kind, welches da lag, es war kein häßlicher Frosch.

»Was ist das!« sagte sie; »habe ich einen bösen Traum geträumt? – Ist es doch mein eigenes, leibliches Ebenbild das dort liegt!« und sie küßte und herzte es, aber das Kind stieß und schlug um sich und biß wie ein wildes Kätzchen.

Nicht an diesem Tage und auch nicht an dem darauf folgenden kehrte der Viking zurück, obgleich er sich freilich unterwegs nach der Heimat befand, aber der Wind stand ihm entgegen, der blies nach Süden für die Störche. Mitwind dem einen ist Widerwind dem anderen.

Als einige Tage und Nächte verstrichen, war es der Vikingsfrau klar, wie es um ihr Kind stand, sei es doch ein entsetzlicher Zauber, der auf ihm laste. Am Tage war es reizend wie ein Lichtelf, hatte aber eine böse, wilde Natur; Nachts dagegen war es ein häßlicher Frosch, still und klagend, mit kummervollen Augen; hier waren zwei Naturen, die, sowohl nach innen als nach außen, mit dem Sonnenlichte abwechselten; das war aber so der Fall, weil das Mägdlein am Tage die äußere Gestalt seiner wirklichen Mutter, aber die Sinnesart des Vaters besaß; Nachts dagegen trat die Abstammung vom Vater sichtbar in der Körpergestalt hervor, allein dann waltete zugleich im Innern des Kindes Gemüt und Herz der Mutter. Wer vermochte wohl diesen durch bösen Zauber bewirkten Bann zu lösen?

Die Vikingsfrau lebte in Ängsten und Kummer darüber, und doch hing ihr Herz an dem kleinen Geschöpfe, von dessen Zustand sie ihrem Gemahl, wenn er nun bald heimkehrte, nichts zu erzählen sich getraute; denn er würde wahrscheinlich alsdann, wie es Brauch und Sitte war, das arme Kind auf die Heerstraße aussetzen, damit es nehmen könne, wer es wolle. Das geschehen zu lassen konnte die gute Vikingsfrau aber nicht übers Herz bringen. Sie beschloß, daß der Viking das Kind stets nur bei hellem Tageslichte sehen solle.

Eines Morgens brausten Storchenflügel über das Dach dahin; mehr denn hundert Storchenpaare hatten sich während der Nacht von dem großen Manöver erholt, jetzt flogen sie hoch empor, um gen Süden zu ziehen.

»Alle Mannen da, und parat!« hieß es, »Frau und Kinder auch mit!«

»Wie es uns leicht ist!« schrien die Storchjungen im Chore, »es kribbelt und krabbelt uns bis in die Zehen hinab, als wären wir mit lauter lebenden Fröschen angefüllt. Ach, wie schön ist’s, ins Ausland zu reisen!«

»Haltet Euch hübsch im Zuge mit uns,« riefen Papa und Mama. »Braucht das Mundwerk nicht so sehr, das greift die Brust an!«

Und die Störche flogen davon.

Zur selben Zeit tönten die Klänge des Kriegshorns über die Heide dahin, der Viking war gelandet mit seinen Mannen; sie kehrten heim mit Beute reich beladen, von der gallischen Küste, wo das Volk, wie im Britenlande, mit Entsetzen sang:

»Befrei uns von den wilden Normannen!«

Leben und rauschende Lust zog in die Vikingsburg an dem Wildmoore ein. Das große Metfaß wurde in die Halle getragen, der Holzhaufen angezündet, Pferde wurden geschlachtet; es sollte nun tüchtig aufgetischt werden. Der Opferpriester besprengte zur Weihe die Sklaven mit dem warmen Blute, das Feuer knisterte, der Rauch zog dicht unter der Decke hin, der Ruß flockte von den Balken herab, allein das war man gewohnt. Gäste waren eingeladen und sie bekamen gute Geschenke; Ränke und Falschheit waren vergessen. Getrunken wurde derb, und sie warfen sich gegenseitig die Knochen ins Gesicht, das war ein Zeichen guter Laune. Der Barde – so eine Art Spielmann, der aber auch Krieger und mit auf dem Vikingszuge gewesen war, und wußte, was er sang – gab ein Lied zum Besten, in welchem sie von ihren Kriegstaten singen hörten und von dem, was an jedem Besonderes hervorzuheben war; jede Strophe endigte mit dem Refrain: »Gut und Gold, Freude und Freunde sterben, selbst stirbt man auch einmal, allein ein ruhmreicher Name stirbt nimmer aus!« dabei schlugen sie auf die Schilde und hämmerten mit Messern und Knochen auf die Tischplatte, daß es eine Art hatte.

Die Vikingsfrau saß auf der Querbank in der offenen Gildehalle; sie trug ein seidenes Gewand, goldene Armspangen und große Bernsteinperlen. Sie war im schönsten Staate und der Sänger nannte auch sie in seinem Liede und sprach von dem goldenen Schatze, den sie ihrem reichen Gemahl gebracht. Dieser hatte seine herzliche Freude an dem wunderschönen Kinde, er hatte es nur am Tage in seiner Schönheit gesehen und das wilde Wesen des Kindes gefiel ihm. Aus dem Mädchen, sagte er, könne eine kräftige Schildjungfrau werden, die ihren Mann stehe. Sie würde nicht mit dem Auge blinzeln, wenn zum Scherz eine geübte Hand mit scharfem Schwerte ihr die Augenbrauen abschlüge.

Das volle Metfaß wurde geleert und ein frisches aufgefahren, ja, das waren Leute, die alles vollauf genossen. Zwar kannte man das alte Wort: »Das Vieh weiß, wenn es die Weide verlassen muß, aber ein unkluger Mann weiß das Maß seines Magens nicht;« – ja, das wußte man alles, aber man weiß das Eine und tut das Andere. Man wußte auch: »daß selbst der Gerngesehene Langeweile erregt, wenn er lange im Hause sitzen bleibt«, aber man blieb doch sitzen, Speck und Met sind gute Dinge, es ging lustig her, und Nachts schliefen die Leibeigenen in der warmen Asche, tauchten die Finger in den fetten Ruß und leckten sie ab. Ei, war das eine schöne Zeit!

Noch einmal im Jahre zog der Viking aus, wenn auch schon die herbstlichen Stürme sich zu erheben begannen; er ging mit seinen Mannen nach der Küste des Britenlandes, das sei ja nur eine Spazierfahrt über’s Wasser, sprach er, und seine Hausfrau blieb zurück mit dem kleinen Mädchen. So viel ist gewiß, daß die Pflegemutter bald den armen Frosch mit den frommen Augen und den tiefen Seufzern fast mehr liebte, als die Schönheit, die um sich schlug und biß.

Der rauhe, feuchte Herbstnebel, der an den Blättern des Waldes zehrt, lag schon auf Forst und Haide. »Vogel Federlos« wie sie den Schnee nennen, flog in dichten Schaaren, der Winter war stark im Anzuge; die Sperlinge bemächtigten sich des Nestes der Störche und beredeten in ihrer Weise die abwesende Herrschaft: diese aber, das Storchpaar mit allen Jungen, ja, wo waren die geblieben?

Die Störche befanden sich nun in dem Lande Ägypten, wo die Sonne warme Strahlen aussandte, wie bei uns an einem schönen Tage im Hochsommer. Tamarinthen und Akazien blühten ringsum im ganzen Lande, der Mond Mohameds strahlte hell von den Tempelkuppeln herab, auf den schlanken Türmen saß manches Storchenpaar und ruhte aus nach der langen Reise. Große Schaaren teilten sich die Nester, die eng aneinander lagen auf ehrwürdigen Säulen und eingestürzten Tempelbogen vergessener Stätten. Die Dattelpalme hob ihren Schirm hoch empor, als wollte sie Sonnenschirm sein; die weißgrauen Pyramiden standen wie Schattenrisse in der klaren Luft der fernen Wüste, wo der Strauß seinen schnellen Lauf übte und der Löwe mit großen, klugen Augen die marmorne Sphinx anschaute, die halb im Sande begraben lag. Die Gewässer des Nils waren zurückgetreten, das ganze Flußbett wimmelte von Fröschen, und dieser Anblick war so recht nach dem Geschmacke der Storchfamilien. Die Jungen wähnten, es sei eine Augentäuschung, in dem Grade herrlich fanden sie alles.

»So ist es hier und so leben wir stets in unserm warmen Lande!« sagte Storchmama, und es krabbelte den Jungen im Magen dabei.

»Ist noch mehr zusehen?« fragten sie, »geht es noch viel weiter ins Land hinein?«

»Dort ist weiter nichts zu sehen!« erwiderte Storchmama. »Nach der übrigen Gegend hier giebt es nur ungeheure Wälder, deren Gezweig ineinander verwächst, während stechende Schlingpflanzen Weg und Steg versperren, dort vermag nur der Elephant mit seinen plumpen Füßen sich einen Weg zu bahnen, und die Schlangen dort sind uns zu groß, die Eidechsen zu lebendig. Wollt Ihr nach der Wüste zu gehen, so werdet Ihr die Augen voll Sand bekommen, d. h. wenn es sein hergeht, spielt aber das grobe Geschütz, dann geratet Ihr in eine Sandhose hinein. Hier ist es am Besten! Hier sind Frösche und Heuschrecken. Hier werde ich bleiben und Ihr auch!«

Sie blieben dort. Die Älteren saßen im Neste auf dem schlanken Minaret, ruhten aus und waren doch emsig beschäftigt, das Gefieder zu glätten und zu schniegeln und den Schnabel an den roten Strümpfen zu wetzen; sie streckten dann und wann den Hals empor, grüßten gravitätisch, und hoben den Kopf mit der hohen Stirn und den seinen glatten Federn, und ihre braunen Augen schauten gar klug darein. Die weiblichen Jungen stolzierten in dem saftigen Röhricht, schielten nach den anderen Storchjungen, machten Bekanntschaften und verschlangen bei jedem dritten Schritt einen Frosch oder schlenkerten eine kleine Schlange hin und her, was ihnen schön stand, wie sie wähnten, und auch gut schmeckte. Die männlichen Jungen fingen Streit an, schlugen einander mit den Flügeln, hauten drein mit den Schnäbeln, ja, sie stachen sich, daß das Blut hervorquoll, und in der Manier wurde bald dieser, bald jener verlobt, die jungen Herrchen und die Dämchen, und das war es ja, was sie wollten, und weshalb sie lebten; sie tragen dann zu Neste und gerieten dann wieder aufs Neue in Streit, denn in den heißen Ländern sind nun einmal alle heftig und hitzig, aber vergnüglich war es doch und namentlich für die Alten war es eine große Freude: Alles steht ja den Jungen gut! Alle Tage war hier Sonnenschein, alle Tage vollauf zu fressen, man konnte nur an Vergnügen denken. – Allein in dem reichen Schlosse, bei dem ägyptischen Hauswirte, wie sie ihn nannten, war das Vergnügen nicht zu finden.

Der reiche mächtige Herr ruhte auf seinem Lager inmitten des großen Saals mit den buntbemalten Wänden, es war, als läge er in einer Tulipane; allein er war steif und gelähmt an allen Gliedern und lag wie eine Mumie ausgestreckt. Seine Familie und Dienerschaft umstand ihn, tot war er nicht, und daß er lebe, konnte man eigentlich auch nicht sagen. Die rettende Moorblume aus dem Norden, welche von derjenigen hätte gesucht und heimgeführt werden sollen, die ihn am innigsten liebte, wurde nie gebracht. Seine junge, schöne Tochter, die im Schwanengefieder über Meer und Länder dahin geflogen war, hoch nach dem Norden hinauf, sollte nie wiederkehren. »Sie ist für immer tot,« hatten die beiden heimgekehrten Schwanenjungfrauen gemeldet, und sie hatten eine Geschichte zusammengesetzt, die sie erzählten:

»Wir Drei zusammen,« sagten sie, »flogen hoch in der Luft dahin; da erblickte uns ein Jäger und schoß seinen Pfeil nach uns ab; derselbe traf unsere junge Freundin und Schwester, und langsam ihr Lebewohl singend, sank sie hinab, ein sterbender Schwan, in den Waldsee. Am Ufer des See’s unter einer Hängebirke senkten wir sie in die kühle Erde. Doch, Rache haben wir geübt; wir banden Feuer unter die Flügel der Schwalbe, die unter dem Strohdache des Jägers nistete, das Haus ging in hellen Flammen auf, der Jäger verbrannte mit dem Hause; und es leuchtete über die See hinaus, bis zu der Hängebirke hinüber, wo sie jetzt zu Staub geworden. Nimmer kehrt sie in das Land Ägypten zurück!«

Und dabei weinten die beiden, und als Storchpapa die Geschichte vernahm, klapperte er mit dem Schnabel, daß es weit hin schallte.

»Lug und Trug!« rief er, »ich möchte ihnen den Schnabel tief in die Brust stoßen!«

»Und ihn abbrechen!« fügte Storchmama hinzu, »dann würdest Du gut aussehen! Denke zuerst an Dich, und dann an Deine Familie, alles Andere geht uns nichts an.«

»Morgen werde ich mich doch an den Rand der offenen Kuppel setzen, wenn die Gelehrten und Weisen sich versammeln, um von dem Zustande des Kranken zu reden, vielleicht daß sie der Wahrheit ein wenig näher kommen.«

Die Gelehrten und Weisen kamen zusammen und sprachen Vieles, weit und breit, aus dem der Storch nichts herausbekommen konnte, – es kam denn auch nichts dabei heraus, weder für den Kranken, noch für die Tochter in der schlammigen Moorhaide. Doch deshalb können wir die Leute gern ein wenig anhören, man muß in der Welt gar Vieles mit anhören.

Dann dürfte es aber auch am richtigsten sein, zu vernehmen, was dem vorausgegangen ist, wir sind schon besser in der Geschichte bewandert, wissen wenigstens ebenso viel, als Storchpapa.

»Liebe zeugt Leben! die höchste Liebe zeugt das höchste Leben! Nur durch Liebe kann ihm des Lebens Rettung werden!« So hatte man gesprochen, und das sei sehr klug und schön gesprochen, versicherten die Gelehrten.

»Das ist ein schöner Gedanke!« hatte Storchpapa sofort gesagt.

»Ich verstehe ihn nicht recht!« hatte Storchmama erwidert, »und das ist nicht meine Schuld, sondern der Gedanke ist Schuld daran; mag es aber darum sein, ich habe Anderes zu denken!«

Nun hatten die Gelehrten von der Liebe zu Diesem und Jenem, und ihrem Unterschiede von der Liebe geredet, die Liebesleute empfinden, und von derjenigen zwischen Eltern und Kindern, von der Liebe des Lichts zu den Gewächsen, wie der Sonnenstrahl den Erdboden küßt und wie der Keim dadurch hervorsprießt, – es war alles so weitschweifig und gelehrt aus einander gesetzt, daß es für Storchpapa eine Unmöglichkeit war, dem zu folgen, geschweige denn es wiederzugeben. – Er wurde gedankenschwer dabei, schloß die Augen halb zu und stand den ganzen folgenden Tag noch immer sinnend auf einem Beine; es wurde ihm gar schwer, all‘ die Gelehrtheit zu ertragen.

Doch Eins verstand Storchpapa: alle, Hoch und Niedrig, hatten aus ihrem innersten Herzen heraus gesprochen und gesagt, daß es ein großes Unglück für Tausende von Menschen, ja für das ganze Land sei, daß der Mann erkrankt danieder liege und nicht genesen könne, Freude und Segen würde es verbreiten, wenn er wieder auf käme. Allein wo blühe die Blume, die ihm Gesundheit bringen könnte? Darnach hatten sie alle geforscht in gelehrten Schriften, in flimmernden Sternen, in Wetter und Wind; darnach geforscht auf allen Umwegen, die sie hatten ersinnen können, und endlich hatten die Gelehrten und Weisen, wie schon erwähnt, herausbekommen: daß »Liebe Leben zeuge, das Leben des Vaters«; dabei hatten sie sich selbst übertroffen und ein Mehreres gesagt, als sie begriffen. Sie wiederholten es dann und schrieben als Recept auf: »Liebe zeugt Leben«, allein wie das Ding nach dem Recepte zuzubereiten sei, – ja, dabei blieb man stehen! Endlich einigte man sich dahin, daß die Hilfe durch die Prinzessin kommen müsse, durch sie, die mit ihrer ganzen Seele an diesem Vater hing, und man ersann sogar endlich, wie diesem Zustande abzuhelfen sei. – Ja, jetzt war es schon über Jahr und Tag her, daß die Prinzessin sich Nachts, wenn des Neumonds kurzer Schein im Sinken begriffen war, hinaus zu der marmornen Sphinx begeben, den Sand von dem Sockel zurückgeworfen hatte und dort durch den langen Gang geschritten war, der mitten hinein in eine der großen Pyramiden führte, wo selbst einer der mächtigen Könige des Altertums, von Pracht und Herrlichkeit umgeben, in der Mumienhülle liege. Dort sollte sie ihren Kopf an die Brust des Toten lehnen, alsdann würde ihr offenbar werden, wo Leben und Erlösung für ihren Vater zu finden sei.

Dieses Alles hatte sie ausgeführt und im Traume erfahren, daß sie aus dem tiefen See in der Moorhaide, hoch oben im dänischen Lande – ihr waren Ort und Stelle genau bezeichnet worden – die Lotusblume heimbringen müsse, die in der Gewässer Tiefe ihre eigene Brust berührt, – alsdann würde der Vater Genesung finden.

Deshalb war sie im Schwanengefieder aus dem Lande Ägyptens nach dem Heideland, dem Wildmoore hinauf geflogen. – Sieh‘, dieses alles wußte Storchpapa und Storchmama, und jetzt wissen auch wir es genauer, wie wir es zuvor gewußt. Wir wissen, daß der Schlammkönig sie zu sich hinabgezogen, wissen auch, daß sie für ihre Lieben in der Heimat tot ist für immer. – Einer der Weisesten unter ihnen sagte noch, wie es auch die Storchmama tat, »sie wird sich schon zu helfen wissen«, und damit gaben sie sich endlich zufrieden und wollten der Dinge harren, die da kommen sollten, denn sie wußten nichts Besseres.

»Ich möchte den beiden treulosen Prinzessinnen das Schwanengefieder entwenden!« sprach Storchpapa, »dann werden sie wenigstens nicht wieder bis an den Wildmoor hinauffliegen und Böses anstiften können; die beiden Schwanengefieder verberge ich dort oben, bis jemand Gebrauch dafür haben wird.«

»Wo aber wirst Du sie verstecken?« fragte Storchmama.

»Oben in unserem Neste am Wildmoor!« antwortete er. »Ich und unsere jüngsten Jungen werden uns auf dem Fluge darein teilen, sie hinauf zu bringen, und sollte uns das zu schwierig sein, so giebt es ja Stellen genug unterwegs, wo wir sie verbergen können, bis zu dem nächsten Wanderzuge. Eigentlich genügte freilich schon ein Schwanengefieder für die Prinzessin; doch zwei sind immerhin besser; in den nördlichen Ländern kann man nicht Reisesachen genug haben.«

»Niemand wird es Dir danken!« sprach Storchmama, – »doch Du bist ja der Herr! Ich habe außer der Brutzeit nichts zu sagen.«

In der Vikingsburg am Wildmoore, wohin die Störche gegen den Frühling ihren Flug richteten, hatte man dem kleinen Mädchen den Namen Helga gegeben; doch dieser Name war gar zu weich für ein Gemüt wie das, welches hier die schönste Gestalt besaß. Mit jedem Monate zeigte sich dieses Gemüt in immer schärferen Umrissen, und mit den Jahren, während die Störche immer dieselbe Reise machten: im Herbste nach dem Nil, im Frühjahre nach dem Moorsee, wuchs das Kind zu einem großen Mädchen heran, und ehe man sich’s versah, war es eine wunderschöne Jungfrau im sechzehnten Jahre. Schön war die Schale, aber hart und barsch der Kern, wild war sie wie die meisten in jener harten, finstern Zeit.

Es war ihr eine Lust, mit ihren weißen Händen das dampfende Blut des geschlachteten Opferpferdes umherzusprengen; sie biß in ihrer Wildheit den Hals des schwarzen Hahnes durch, den der Oberpriester schlachten wollte, und zu ihrem Pflegevater sprach sie in vollem Ernste:

»Und wenn Dein Feind Dir das Dach Deines Hauses einrisse, während Du im sorglosen Schlafe lägest, und ich sähe oder hörte es, ich weckte Dich nicht, auch wenn ich es vermöchte. Ich würde es nimmer tun können, denn es sausen mir noch die Ohren von dem Schlage, den Du mir vor Jahren gegeben! Du! – ich habe ihn nicht vergessen.«

Aber der Viking hielt ihre Worte für einen Scherz, er war, wie alle anderen, von ihrer Schönheit betört; er wußte auch nicht, daß und wie Gemüt und Gestalt bei Helga wechselten. Ohne Sattel saß sie auf das Pferd gegossen, das in vollem Laufe dahinjagte; sie sprang nicht vom Pferde, wenn es sich auch mit den anderen Pferden biß. In den Kleidern warf sie sich oft von dem hohen Uferrande in den reißenden Strom der Bucht hinab und schwamm dem Viking entgegen, wenn sein Boot auf die Hütte zusteuerte. Von ihrem schönen Haare schnitt sie die längste Locke ab und flocht sich von derselben eine Sehne für ihren Bogen.

»Selbstgetan ist wohlgetan!« sprach sie.

Die Vikingsfrau war nach der Zeiten Maß und Sitte von starkem Willen und Gemüt, allein gegen die Tochter war sie wie ein weiches ängstliches Weib; wußte sie doch, daß es ein böser Zauber war, der auf dem beklagenswerten Kinde laste.

Es war als wenn Helga, recht aus böser Lust, gar oft, wenn die Mutter auf dem Söller stand oder in den Hof trat, sich auf das Brunnengeländer setzte, mit Armen und Beinen in der Luft focht und darauf plötzlich in den engen tiefen Brunnen hinabglitt, wo sie mit ihrer Froschnatur nieder- und wieder emportauchte, darauf wie eine Katze umherkletterte und nun, von Wasser triefend, in die Halle trat, daß die grünen Blätter, die dort auf den Fußboden gestreut waren, sich in dem von ihr herab triefenden Wasser umkehrten. Doch ein Band gab es, das Helga im Zaume hielt, es war die Abenddämmerung; in dieser ward sie still und gleichsam sinnend, ließ sich raten und führen; dann zog sie ein inneres Gefühl zu der Mutter hin. Und wenn die Sonne sank, und die Verwandlung innerlich und äußerlich stattfand, saß sie still und traurig da, zu der Froschgestalt zusammengeschrumpft, der Körper war jetzt zwar weit größer, als der des Tieres, aber deshalb auch um so entsetzlicher anzuschauen; sie sah aus wie ein jämmerlicher Zwerg mit Froschkopf und Schwimmhäuten zwischen den Fingern. Einen gar traurigen Ausdruck hatten die Augen; Stimme hatte sie nicht, nur ein hohles Quaken, fast wie das Schluchzen eines träumenden Kindes. Dann nahm die Vikingsfrau sie auf den Schoß, vergaß die häßliche Gestalt, blickte nur in die betrübten Augen und sprach oft:

»Fast möchte ich, daß Du immerfort mein stummes Froschkind wärest; Du bist noch entsetzlicher, wenn die Schönheit Dir ihre Gestalt leiht!«

Und die Vikingsfrau schrieb Runen gegen Zauber und Siechtum und warf diese über die Elende, – doch eine Besserung zeigte sich nicht.

»Man glaubt es kaum, daß sie so klein gewesen, daß sie in dem Kelche einer Wasserlilie gelegen!« sprach Storchpapa; »jetzt ist sie ein ganzer Mensch und ihrer ägyptischen Mutter wie aus den Augen geschnitten; ja, die sehen wir wohl nie wieder! Sie wußte sich doch nicht zu helfen, wie Du und der Gelehrteste sagten. Bin ich doch Jahr aus, Jahr ein, die Kreuz und Quer in dem großen Morgenlande umher geflogen, allein sie gab nie ein Zeichen, daß sie lebe. Ja, ich will es Dir jetzt erzählen, wie ich jedes Jahr, wenn ich einige Tage vor Dir hierher kam, um das Nest auszubessern und Dieses und Jenes in Stand zu setzen, eine ganze Nacht, als sei ich eine Fledermaus oder eine Eule, über den offenen See immer hin und her geflogen bin, aber vergeblich. Die beiden Schwanengefieder, welche ich und die Jungen hier herauf schleppten aus dem Nillande, wurden deshalb auch nicht gebraucht; mühsam genug war es uns, aber wir trugen sie in drei Reisen hierher und jetzt liegen sie hier unten im Neste, und bricht nun einmal Feuer aus, geschieht es, daß das Balkenhaus abbrennt, dann sind sie verloren.«

»Und unser gutes Nest ist auch verloren!« fiel die Storchmama ein; »an das denkst Du weniger als an Deinen Gefiederkram und Deine Moor-Prinzessin. Gehe doch lieber in den Schlamm hinab und bleibe dort bei ihr! Du bist Deinen eigenen Kindern ein schlechter Vater, das habe ich schon gesagt, als ich zum ersten Male Eier ausbrütete. Wenn nur nicht wir oder unsere Jungen von dem wilden Mädchen einen Pfeil in die Flügel kriegen! Helga weiß ja nicht, was sie tut. Wir sind doch länger hier zu Hause als sie, möchte sie das bedenken; wir vergaßen nie unsere Schuldigkeit, wir gaben alljährlich unsere Abgaben, eine Feder, ein Ei und ein Junges, wie es Recht ist. Denkst Du, ich begebe mich wie in früheren Tagen in den Hof und überall hier herum, so wie ich es noch immer in Ägypten tue, wo ich fast der Kamerad der Leute bin, um, wie dort, mich zu vergessen, und in Topf und Kessel hineinzugucken? Nein ich sitze hier oben und ärgere mich über sie, – den Backfisch! – und ich ärgere mich auch über Dich! Du hättest sie ruhig in der Wasserlilie liegen lassen sollen, dann wäre sie längst umgekommen!«

»Du bist weit besser als Deine Rede!« sagte Storchpapa, – »ich kenne Dich besser, als Du Dich selbst kennst!«

Damit tat er einen Hops, zwei schwere Flügelschläge, streckte die Beine nach hinten aus und flog, ja, segelte davon, ohne die Flügel zu bewegen. Er war schon eine weite Strecke entfernt, dann tat er einen kräftigen Schlag. Die Sonne fiel glänzend auf das große Gefieder, Hals und Kopf senkten sich stolz hervor: darin war Fahrt und Schwung!

»Er ist doch der Schönste von allen!« sprach Storchmama, »aber das sage ich ihm nicht!«

Frühzeitig in diesem Herbste kehrte der Viking heim, beladen mit Beute und Gefangene mit sich führend. Unter diesen befand sich ein junger christlicher Priester, Einer von denjenigen, die die Götter der nordischen Lande verspotteten.

Gar oft war in der letzten Zeit in Halle und Kammer von dem neuen Glauben die Rede gewesen, der sich weit und breit im Süden ausbreite, ja, durch den heiligen Ansgarius selbst bis nach Hedeby an der Schlei gelangt war. Selbst Helga hatte von dem Glauben an den weißen Christus vernommen, der aus Liebe zu den Menschen für deren Erlösung sein Leben hingegeben hatte; bei ihr war das aber alles, wie man sagt, zum einen Ohre hinein, zum anderen heraus gegangen. Es schien, als habe sie für das Wort Liebe nur dann ein Gefühl, wenn sie in der elenden Froschgestalt in der verschlossenen Kammer zusammenkauerte; allein die Vikingsfrau hatte den Sagen und Kunden von dem Sohne eines einzigen wahren Gottes gelauscht und sich wunderbar dadurch ergriffen gefühlt.

Die Männer, von den Seezügen heimgekehrt, hatten von prächtigen Tempeln aus behaunem, schönen Gesteine, erzählt, demjenigen errichtet, dessen Gebet Liebe laute. Einige schwere Gefäße, künstlich aus massivem Golde gefertigt, waren erbeutet und heimgebracht, an jedem haftete ein eigener Kräuterduft, es waren Räuchergefäße, welche die christlichen Priester vor dem Altare schwenkten, auf welchem kein Blut floß, sondern der Wein und das geweihte Brot sich in Dessen Blut verwandelte, der sich für noch ungeborene Geschlechter hingegeben hatte.

In den tiefen, ausgemauerten Keller des Balkenhauses hatte man den jungen Priester Christi hinuntergebracht und ihm Hände und Füße mit Baststricken zusammen geschnürt. Schön wie Baldur sei er anzuschauen, sagte die Vikingsfrau und seine Not rührte sie, allein Helga meinte, man müsse Stricke durch seine Fersenflechsen ziehen und ihn an die Schweife wilder Rinder anbinden.

»Die Hunde würde ich dann loslassen, halloh! über Moor und Sumpf in die Heide hinüber! Das wäre ein Anblick für die Götter! Schöner noch, ihm auf der Fahrt zu folgen!«

Doch der Viking wollte ihn einen solchen Tod nicht leiden, sondern ihn, den Verleugner und Spötter der hohen Götter, Tags darauf auf dem Blutstein im Haine opfern lassen. Zum ersten Male sollte hier ein Mensch geopfert werden.

Helga erbat sich, daß sie die Göttergebilde und das versammelte Volk mit dem Blute des Priesters besprengen dürfe, Sie schliff ihr blankes Messer, und als einer der großen bissigen Hunde, deren viele auf dem Vikingsitze umher liefen, an ihr vorüber sprang, stieß sie demselben das Messer in die Seite. »Nur um das Messer zu probieren!« sprach sie, und die Vikingsfrau blickte das wilde, bösartige Mädchen betrübt an, und als die Nacht herankam und die Schönheit in Gestalt und Gemüt bei der Tochter wechselten, sprach sie beredte Worte ihres Kummers aus tiefer, trauriger Seele zu Helga.

Der häßliche Frosch in Gestalt des Ungetüms stand vor ihr und richtete die braunen, traurigen Augen auf sie, lauschte ihren Worten und schien mit dem Gedanken des Menschen dieselben zu begreifen.

»Niemals, selbst nicht zu meinem Herrn und Gemahl ist ein Wort über meine Lippen von dem gekommen, was ich durch Dich zu leiden habe!« – sprach die Vikingsfrau, »mein Herz ist des Kummers voll über Dich, mehr, als ich selbst je gedacht, groß ist die Liebe einer Mutter! Allein noch nie zog die Liebe in Dein Gemüt ein, Dein Herz ist gleich den nassen, kalten Schlammpflanzen.«

Da zitterte die elende Gestalt, es war, als berührten diese Worte ein unsichtbares Band zwischen Körper und Seele, große Tränen traten ihr in die Augen.

»Deine harte Zeit wird einst kommen!« sprach die Vikingsfrau, »entsetzlich wird sie auch mir werden! – besser, wenn Du auf die Heerstraße hinausgesetzt worden wärest, und die Nachtkühle Dich in Schlaf gelullt hätte!« Die Vikingsfrau weinte bittere Tränen und ging vor Zorn und Betrübnis ihre Wege, schritt hinter das Fell, welches lose über dem Balken hing und die Halle teilte.

Der zusammengeschrumpfte Frosch saß allein im Winkel; es herrschte lautlose Stille; allein in kurzen Zwischenräumen wurde ein halb erstickter Seufzer laut in dem Innern Helga’s; es war, als wenn ein Schmerz, ein Leben gezeugt im Innersten des Herzens. Sie tat einen Schritt vorwärts, lauschte, tat noch einen Schritt, und ergriff nun mit den unbeholfenen Händen die schwere Stange, die vor die Tür gezogen war. Leise und mühsam schob sie die Stange zurück, ebenso leise zog sie den Bügel ab, der über die Klinke geschoben war und ergriff nun die flackernde Lampe, die in der Vorkammer der Halle stand; war es doch, als verleihe ein starker Wille ihr die Kraft; sie zog den eisernen Bolzen aus der verschlossenen Kellerluke und schlich sich zu dem Gefangenen hinunter. Dieser schlummerte; sie berührte ihn mit ihrer kalten feuchten Hand, und als er dabei erwachte und die häßliche Gestalt erblickte, schauderte ihn, wie wenn er eine böse Erscheinung gesehen. Sie zog ihr Messer, durchschnitt die Stricke, die ihm Hände und Füße banden, und winkte ihm, ihr zu folgen.

Er sprach heilige Namen, machte das Zeichen des Kreuzes, und als die Gestalt unbeweglich blieb, sprach er die Worte der Bibel:

»Wohl Dem, der sich des Dürftigen annimmt, den wird der Herr erretten zu böser Zeit …! – Wer bist Du? Woher dieses Äußere des Tieres! und doch erfüllt von wohltuender Barmherzigkeit?«

Die Froschgestalt winkte ihm und führte ihn hinter bergenden Vorhängen durch einen einsamen Gang nach dem Stalle, dort auf ein Pferd deutend. Er schwang sich auf dasselbe, aber auch sie sprang hinauf, setzte sich vor ihn und hielt sich an der Mähne des Tieres fest. Der Gefangene verstand sie, und in schnellem Trabe ritten sie einen Weg, den er nie gefunden haben würde, hinaus in die offene Heide.

Er vergaß ihre häßliche Gestalt, er empfand es, wie die Gnade und Barmherzigkeit Gottes durch das Ungetüm wirkte; er betete fromme Gebete und stimmte heilige Lieder an. Da zitterte sie; war es die Macht des Gebets und des Gesanges, die hier wirkte, oder war es der Schauder in der kalten Morgendämmerung, die herannahte? Was empfand sie wohl? Sie hob sich hoch empor, wollte das Pferd anhalten und herabspringen; allein der christliche Priester hielt sie mit aller Macht zurück, sang ein frommes Lied, als vermochte dieses den Zauber zu lösen, der sie in die häßliche Froschgestalt bannte. Das Pferd jagte noch wilder dahin, der Himmel färbte sich rot, der erste Sonnenstrahl drang durch die Wolke, und bei dem klaren Lichtquell trat auch der Wechsel der Gestalt ein; – Helga war wieder die junge Schöne mit dem dämonischen, bösen Sinne. Er hielt das schönste junge Weib in seinen Armen und er entsetzte sich darob; er sprang vom Pferde herab und zwang es zum Stehen. Er wähnte einen neuen unheilschweren Zauber zu erleben; allein Helga war gleichfalls mit einem Satze vom Pferde und stand auf dem Boden, Das kurze Gewand des Kindes reichte ihr nur bis ans Knie; sie riß das scharfe Messer aus dem Gürtel und stürzte sich blitzschnell auf den Überraschten ein.

»Daß ich Dich nur erreiche!« rief sie; »daß ich Dich erreiche, und das Messer soll in Deinen Leib hineinfahren! Du bist ja blaß wie Heu, bartloser Sklave!«

Sie drang auf ihn ein; sie rangen miteinander in schwerem Kampfe, allein es war, als sei eine unsichtbare Kraft dem Kämpfer Christi verliehen; er hielt sie fest, und die alte Eiche, an welcher sie standen, kam ihm zu Hilfe, in dem die durch ihre vom Boden halb abgelösten Wurzeln gleichsam des Mädchens Füße banden, die sich in dieselben verstrickt hatten. Ganz in der Nähe rieselte eine Quelle, er besprengte Helga mit dem frischen Sprudel Brust und Antlitz, gebot dem unreinen Geist herauszufahren und segnete sie nach christlicher Sitte: allein das Wasser des Glaubens hat keine Kraft da, wo der Quell des Glaubens nicht auch von innen strömt.

Und doch bewies er auch hierin seine Kraft, ja mehr denn die einfache Manneskraft setzte er durch seine Handlung der ringenden bösen Macht entgegen; die heilige Handlung überwältigte sie, sie ließ die Arme sinken, schaute staunend und mit erblassenden Wangen denjenigen an, der ein mächtiger Zauberer und in geheimen Künsten erfahren zu sein schien; es waren dunkle Runen, die er sprach, Geheimzeichen, die er in die Luft zeichnete. Sie würde nicht geblinzelt haben, wenn er die blitzende Axt oder das scharfe Messer gegen sie geschwungen hätte; allein sie tat es jetzt, als er ihr das Zeichen des Kreuzes an Stirn und Brust schrieb, und sie saß da, wie ein zahmer Vogel, das Haupt auf die Brust geneigt.

Da sprach er in milden Worten zu ihr von der Tat der Liebe, die sie in der Nacht gegen ihn geübt, als sie in der Gestalt des häßlichen Frosches zu ihm gekommen, seine Bande gelöst und ihn zu Licht und Leben herausgeführt; auch sie sei gebunden, sprach er, in engere Bande geschlagen als er es gewesen, allein auch sie solle und durch ihn zu Licht und Leben geführt werden. Nach Hedeby zu dem heiligen Ansgarius wolle er sie bringen, dort in der christlichen Stadt müsse der Zauber gehoben werden. Doch nicht vor sich auf dem Pferde, wenn sie auch aus freien Stücken dort sitzen wolle, möchte er sie führen.

»Hinter mir mußt Du sitzen, nicht vor mir! Die Schönheit Deines Zaubers hat eine Gewalt, die vom Bösen stammt, ich fürchte sie – und doch ist der Sieg mir gewiß in Christo!«

Er kniete nieder und betete fromm und innig! Es war, als würde die stille Waldnatur dadurch zu einer heiligen Kirche geweiht; die Vögel sangen, als gehörten sie der neuen Gemeinde an, die wilde Krausemünze duftete, als wollte sie den Ambra und die Räucherung ersetzen; mit lauter Stimme verkündigte er die Worte der heiligen Schrift:

»Auf daß Er erscheine denen, die da sitzen in Finsterniß und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.«

Er sprach von dem tiefen Sehnen der ganzen Natur, und während er sprach, stand das Pferd, das sie beide in wildem Laufe getragen, still vor großen Brombeerranken und zupfte an denselben, daß die reifen saftigen Beeren Helga über die Hand herab fielen, sich selbst zur Labung anbietend.

Sie ließ sich geduldig auf das Pferd heben, saß dort, einer Mondsüchtigen gleich, die nicht wacht und doch nicht wandelt. Der Christ band zwei Äste mit Bast zusammen, daß sie ein Kreuz bildeten, und er hielt das Kreuz hoch empor, während sie durch den Wald ritten, der stets dichter wurde den Weg entlang, und sich zuletzt ganz in eine unwegsame Wildnis verlief.

Schlehdorngestrüpp versperrte hier den Weg, man mußte um dasselbe herum reiten; die Quelle wurde nicht zum Bache, sondern zum stehenden Sumpfe, um welchen man ebenfalls das Pferd lenken mußte. Kraft und Labung war in der frischen Waldluft; eine nicht geringe Kraft lag in den milden Worten, die in Glaube und christlicher Liebe, in innigem Drange gesprochen wurden, die Arme zu Licht und Leben zu führen.

Der Regentropfen, sagt man ja, höhlt den harten Stein, die Meereswogen runden die abgerissenen eckigen Felspartien; der Tau der Gnade, der Helga gespendet, höhlte das Harte, glättete das Scharfe; zwar war es ihr nicht anzusehen, sie wußte es selbst nicht, – weiß aber der Keim in der Erde Schoß bei dem labenden Tau und dem warmen Sonnenstrahle, daß er Wachstum und Blüte in sich birgt?

Wie das Lied der Mutter dem Kinde innerlich ins Gemüt dringt, und es die einzelnen Worte nachlallt, ohne sie zu verstehen, die selben sich aber später in Gedanken sammeln und mit der Zeit immer klarer hervortreten, so wirkte auch hier das Wort, welches zu schaffen vermag.

Sie ritten aus dem Walddickicht heraus, über die Heide dahin, wiederum durch unwegsame Wälder; da stießen sie gegen Abend auf eine Räuberbande.

»Wo hast Du das reizende Mädchen gestohlen?« riefen die Räuber, fielen dem Pferde in den Zügel und rissen die beiden Reiter herunter. Der Priester hatte keine andere Wehr, als das Messer, das er Helga entwunden, mit diesem stieß er rechts und links um sich; einer der Räuber schwang seine Axt gegen ihn, allein der junge Priester tat einen Sprung zur Seite, er wäre sonst getroffen, so fuhr nun das scharfe Beil tief in den Hals des Pferdes, daß das Blut herausströmte und das Tier niederstürzte. Da stürzte Helga, als erwache sie plötzlich aus ihrer langen tiefen Beschaulichkeit, sich eilends über das stöhnende Tier; der Priester stellte sich ihr voran zur Wehr und zum Schutz, allein einer der Räuber schwang seinen schweren eisernen Hammer gegen seine Stirn, daß dieselbe zerschmettert wurde und Blut und Gehirn rings umher spritzte, – er fiel tot zu Boden.

Die Räuber faßten Schön-Helga an ihren weißen Armen und um ihren schlanken Leib – da ging die Sonne unter, der letzte Strahl erlosch in demselben Augenblicke und sie wurde in die Gestalt eines Frosches verwandelt; der weißgrüne Mund schob sich über das halbe Gesicht hinaus, die Arme wurden dünn und schleimig, eine breite Hand mit Schwimmhaut dehnte sich fächerförmig aus, – da ließen die Räuber entsetzt von ihr ab, es stand ein häßliches Untier unter ihnen, und wie es die Natur des Frosches ist, hüpfte sie empor, höher als ihre eigene Gestalt und verschwand in das Dickicht. Da wurden die Räuber inne, daß dies böse List des Loke oder daß es geheime Zauberkünste seien, und entsetzt verließen sie eilends den Ort.

Der Vollmond ging schon auf; bald glänzte und leuchtete er über die Erde, und aus dem Dickicht kroch, in der elenden Gestalt des Frosches, die arme Helga; sie blieb stehen vor der Leiche des christlichen Priesters und vor ihrem getöteten Rosse; sie blickte sie mit Augen an, die zu weinen schienen, und der Froschkopf ließ ein Quaken ertönen, wie wenn ein Kind in Tränen ausbricht. Sie warf sich bald über das Eine, bald über das Andere, schöpfte Wasser mit der Hand, die durch die Schwimmhaut größer und hohler war, und übergoß sie mit dem Wasser, allein – tot waren sie, tot blieben sie, sie begriff es wohl. Bald werden wilde Tiere kommen und ihren Körper zerreißen; aber nein, das dürfte nicht geschehen! Sie grub deshalb in die Erde, so tief sie es eben vermochte, sie wollte ihnen ein Grab bereiten. Sie hatte hierzu nur einen Baumzweig und ihre beiden Hände, zwischen den Fingern derselben war die Schwimmhaut ausgespannt, dieselbe zerriß und das Blut floß ihr über die Hände. Sie begriff auch zuletzt, daß die Arbeit ihr nicht gelingen würde; da schöpfte sie wieder Wasser und wusch das Gesicht des Toten, bedeckte es mit frischen, grünen Blättern, trug große Zweige herbei und breitete diese über ihn, schüttete trocknes Laub zwischen die Zweige, holte dann die schwersten Steine, die sie zu heben vermochte, legte diese über den toten Körper und verstopfte die Öffnungen mit Moos, – so wähnte sie, sei der Grabhügel stark und eingefriedigt. Bei dieser schweren Arbeit war die Nacht verstrichen, die Sonne brach hervor – und Schön-Helga stand in ihrem Liebreize da mit blutenden Händen, und zum ersten Male mit Tränen auf den jungfräulichen Wangen.

Da war es in der Verwandlung, als kämpften zwei Naturen miteinander in ihrem Innern; sie zitterte über den ganzen Körper, schaute um sich, als erwache sie aus einem beängstigenden Traum, stürzte darauf nach dem schlanken Baum hin, hielt sich an demselben, um doch eine Stütze zu haben, und bald, in einem Nu, kletterte sie, einer Katze gleich, in den Gipfel des Baumes und hielt sich dort fest. Sie saß darin wie ein geängstigtes Eichhörnchen, blieb den ganzen Tag daselbst sitzen in der einsamen Waldesstille, wo alles ruhig und tot ist, wie man sagt! – tot. Schmetterlinge umkreisten einander im Spiele, in der Nähe befanden sich mehrere Ameisenhaufen, jeder mit mehreren Hundert emsiger, kleiner Geschöpfe, die sich hin und her bewegten; in der Luft tanzte eine Unzahl von Mücken, ein Schwarm neben dem anderen, Scharen von summenden Fliegen, Marienkäfern, Goldflügeln und anderen beflügelten, kleinen Tieren; der Regenwurm kroch empor aus dem nassen Grunde, die Maulwürfe schossen hervor, – im übrigen war es still, tot, ringsum tot. Niemand als die Elstern bemerkten Helga, diese umflogen schreiend den Gipfel des Baumes, in dem sie saß; die Vögel hüpften zu ihr heran auf den Zweigen in dreister Neugierde; ein Blick ihres Auges war ein Wink, der sie wieder verscheuchte. – Allein sie wurden nicht klug aus ihr, und sie auch nicht klug aus sich selbst.

Als der Abend dämmerte und die Sonne im Sinken war, rief die Verwandlung sie zu neuer Bewegung; sie glitt von dem Baume herab und indem der letzte Sonnenstrahl schwand, stand sie da in der zusammengeschrumpften Gestalt des Frosches mit den zerrissenen Schwimmhäuten der Hände; allein ihre Augen strahlten jetzt in einem Glänze der Schönheit, die sie kaum früher in der Schönheitsgestalt selber besessen, es waren die mildesten, frommsten Mädchenaugen, die hinter der Froschlarve hervorleuchteten. Sie zeugten von dem tiefen Gemüte, von dem menschlichen Herze; und die Augen der Schönheit floßen über in Tränen, weinten die schönen Tränen der Herzenserleichterung.

Dort lag noch an dem aufgeworfenen Grabhügel das Kreuz von Baumzweigen zusammengebunden, die letzte Arbeit desjenigen, der nun tot und kalt unter dem Hügel ruhte. Helga hob das Kreuz auf, der Gedanke kam ihr von selbst; sie pflanzte es zwischen dem Gesteine auf, über ihm und dem toten Pferde. In der Wehmut der Erinnerung brachen Tränen hervor, und in dieser weichen Stimmung grub sie dasselbe Zeichen rings um das Grab in den Sand, bildete es doch eine zierliche Art Umzäunung desselben, und indem sie mit beiden Händen das Zeichen des Kreuzes schrieb, fiel die Schwimmhaut ab, wie ein zerrissener Handschuh, und als sie sich in der Quelle die Hände abspülte und staunend die zarte Weiße derselben erblickte, machte sie wiederum das Zeichen des Kreuzes in der Luft zwischen sich und dem Toten; da zitterten ihre Lippen, da bewegte sich ihre Zunge, und der Namen, den sie auf dem Ritte durch den Wald gar oft hatte aussprechen und singen hören, floß nun auch vernehmbar von ihrem Munde, sie sprach ihn aus: »Jesus Christus!«

Da fiel die Froschhaut, sie war die junge Schönheit; – doch das Haupt neigte sich ermüdend, die Glieder bedurften der Ruhe, – sie schlummerte ein.

Allein der Schlaf war nur ein kurzer. Gegen Mitternacht wachte sie auf; vor ihr stand das tote Pferd, strahlend, voll Leben, daß es ihm aus den Augen und dem verwundeten Halse leuchtete; dicht neben demselben zeigte sich der ermordete christliche Priester, »schöner als Baldur« würde die Vikingsfrau gesagt haben, und doch kam er wie in Feuerflammen.

Ein solcher Ernst, ein Urteil der Gerechtigkeit, ein so durchdringender Blick sprach aus den großen, milden Augen, daß es in jeden Winkel des Herzens hineinstrahlte. Schön-Helga zitterte vor diesem Blicke und ihr Gedächtnis erwachte mit einer Kraft, als sei es der jüngste Tag. Alles Gute, das man ihr getan, jedes liebevolle Wort, das ihr gesagt worden, wurde lebendig; sie verstand es, daß es die Liebe gewesen, die sie hier während der Tage der Prüfung aufrecht gehalten, wahrend welcher das Geschöpf vom Geiste und Staub – Seele und Schlamm – gährt und ringt; sie erkannte, daß sie nur dem Antriebe der Stimmungen gefolgt und selbst Nichts für sich getan; Alles war ihr gegeben, Alles war wie durch Schickung geschehen; sie beugte sich demütig, ihre eigene tiefe Unvollkommenheit eingestehend, vor dem, der jede Falte des Herzens in uns zu lesen vermag, und in demselben Augenblicke leuchtete sie wie ein Blitz von der Flamme der Läuterung, – die Flamme des heiligen Geistes.

»Du Tochter des Schlammes!« sprach der Christenpriester; »aus Schlamm, aus Erde stammst Du, – aus der Erde sollst Du wieder auferstehen! Der Sonnenstrahl in Deinem Innern geht, des Körpers bewußt, in seinen Ursprung zurück, nicht der Strahl vom Sonnenkörper, sondern der Strahl von Gott! – Ich komme aus dem Lande der Toten; auch Du wirst durch die tiefen Täler reisen in das strahlende Gebirgsland, wo die Gnade und die Vollendung wohnt. Ich führe Dich nicht nach Hedeby, um die christliche Taufe zu erhalten, zuvor mußt Du den schirmenden Wasserspiegel über dem tiefen Moorgrunde zersprengen, die lebendige Wurzel Deines Lebens und Deiner Wiege herauf ans Licht ziehen, Deine Tatkraft üben, bevor die Weihe Dir gegeben werden darf.«

Er hob sie auf das Pferd, reichte ihr ein goldenes Räuchergefäß, wie das, welches sie früher in der Vikingsburg gesehen; ein süßer, starker Duft strömte aus demselben; die offene Stirnwunde des Getöteten leuchtete wie ein strahlendes Diadem: das Kreuz nahm er vom Grabe, hielt es hoch empor, und nun fuhren sie dahin durch die Luft, über den rauschenden Wald, über die Hügel dahin, wo die Kämpen auf ihren getöteten Streitrossen gebettet waren; die ehernen Gestalten erhoben sich, sprengten hervor und pflanzten sich auf dem Gipfel der Hügel auf; im Mondscheine strahlte von ihrer Stirn der bunte Goldreifen mit dem goldenen Knoten, der Mantel flatterte im Winde. Der Drache, der auf Schätzen brütete, erhob den Kopf und schaute ihnen nach. Die Kobolde der Bergmännchen guckten unter den Hügeln und aus dem Ackerrain hervor, sie wimmelten mit roten, blauen und grünen Lichtflammen, wie die Funken beim Verglimmen des brennenden Papiers.

Über Wald und Heide, Fluß und Sumpf flogen sie dahin, hinauf nach dem Wildmoore; über diesem schwebten sie in großen Kreisen. Der Christenpriester hob das Kreuz hoch empor, es strahlte wie Gold, und von seinen Lippen tönten fromme Gebete. Schön-Helga stimmte in die Lieder mit ein, wie das Kind beim Gesange der Mutter mitlallt; sie schwenkte das Räucherfaß, ein Altarduft, so stark, so wundertätig, strömte aus demselben, daß das Schilf und Röhricht des Moors dabei in Blüten sprangen; jeder Keim schoß empor aus dem tiefen Grunde; Alles, was Leben hatte, hob sich, ein Flor von Wasserlilien breitete sich aus wie ein gewirkter blumiger Teppich, und auf diesem lag ein schlummerndes Weib gebettet, jung und wunderschön; Helga wähnte sich selbst in dem Spiegelbilde der stillen Gewässer zu erblicken; es war ihre Mutter, die sie erblickte, das Weib des Schlammkönigs, die Prinzessin von den Ufern des Nils.

Der tote Christenpriester gebot, daß die Schlummernde auf das Pferd gehoben werde, allein dieses sank zusammen unter der Last, als sei sein Körper nur ein Bahrtuch, das im Winde flatterte; doch das Zeichen des Kreuzes machte das Luftphantom stark, und zu Dreien ritten sie jetzt vom Meere auf den festen Boden.

Da krähte der Hahn in der Vikingsburg und die Traumgestalten lösten sich auf, flatterten im Winde davon, aber Mutter und Tochter standen einander gegenüber.

»Bin ich es selbst, die aus dem tiefen Wasser heraufblickt?« sprach die Mutter.

»Bin ich es selbst, die aus dem blanken Schilde herausstrahlt?« rief die Tochter, und sie näherten sich einander Brust an Brust, und umschlangen sich; am stärksten klopfte das Herz der Mutter und sie verstand der Herzen schnellere Schläge.

»Mein Kind! Du Blume meines eigenen Herzens! mein Lotus der tiefsten Gewässer!«

Sie umschlang auf’s neue ihr Kind und weinte; die Tränen waren eine neue Lebens- und Liebestaufe für Helga.

»Im Schwanengefieder kam ich hierher und warf auch hier das Gefieder ab,« sprach die Mutter; »ich versank durch das schwankende Moor tief in den Grund hinab, das mich wie eine Mauer um sich schloß; doch bald vernahm ich eine frische Strömung; eine Kraft zog mich tiefer, immer tiefer, ich fühlte den Druck des Schlafes auf meinen Augenliedern, ich schlief ein, Träume umfingen mich – mir war, als läge ich wieder in der Pyramide Ägyptens, doch vor mir stand noch immer der schwankende Erlenstamm, der mir auf der Moorfläche oben Schrecken eingejagt. Ich beschaute die Ritzen und Runzeln des Stammes, sie leuchteten in Farben und nahmen Gestalten von Hieroglyphen an, es war die Hülle der Mumie, die ich anschaute; dieselbe zerriß endlich und heraus trat der tausendjährige König, die Mumiengestalt, schwarz wie Pech, glänzend schwarz wie die Waldschnecke oder der fette, schwarze Moorschlamm, der Schlammkönig oder die Mumie der Pyramide – ich wußte es nicht. Er schlang seine Arme um mich und es war, als müßte ich sterben. Erst dann vernahm ich wieder das Leben, als mein Busen sich erwärmte und auf demselben ein kleiner Vogel mit den Flügeln schlug, zwitscherte und sang. Der Vogel flog von meinem Busen gegen die finstere schwere Decke empor, aber ein langes grünes Band verband ihn noch immer mit mir; ich hörte und verstand wohl die Töne seines Sehnens: Freiheit! Sonne! Zum Vater: – da dachte ich an meinen Vater und das sinnige Licht der Heimat, mein Leben, meine Liebe, und ich löste das Band, ließ den Vogel davonflattern – nach der Heimat zum Vater. Seit jener Stunde habe ich nicht geträumt, ich schlief einen Schlaf, für wahr einen langen und schweren, bis in dieser Stunde Töne und Duft mich erhoben, mich erlösten!«

Das grüne Band vom Herzen der Mutter nach den Flügeln des Vogels, wo flattert es jetzt, wo war es hingeweht? Nur der Storch hatte es gesehen. Das Band war der grüne Stengel, die Schleife die strahlende Blume, die Wiege des Kindes, welches jetzt in Schönheit entfaltet war und wieder am Herzen der Mutter lag. Und während die beiden Brust an Brust lagen, flog Storchpapa in immer engeren Kreisen um sie herum, schoß endlich in schneller Fahrt nach seinem Neste davon, holte von dort die jahrelang aufbewahrten Schwanengefieder und warf jeder eins zu; und das Gefieder umschloß sie, und sie erhoben sich empor von der Erde, zwei weiße Schwäne.

»Jetzt wollen wir miteinander reden!« – sagte Storchpapa, – »jetzt verstehen wir uns, wenn auch der Schnabel des einen Vogels anders gewachsen ist als der des anderen! Es trifft sich zu schön, daß Ihr diese Nacht kommt, morgen wären wir schon auf und davon gewesen, Mutter, ich und die Jungen, – wir fliegen nach dem Süden! Ja, schau mich nur an! Ich bin ja ein alter Freund aus dem Niellande, und Mutter auch, sie hat es mehr im Herzen als im Schnabel. Sie meinte immer, die Prinzessin würde sich schon zu helfen wissen; ich und die Jungen haben das Schwanengefieder hier herauf getragen! – aber wie ich erfreut bin! und wie ist das ein Glück, daß ich noch hier bin! Wenn der Tag graut, ziehen wir von dannen, eine große Storchgesellschaft! Wir fliegen voran, fliegt Ihr nur hinterdrein, so verfehlt Ihr den Weg nicht, ich und die Jungen werden auch schon ein Auge auf Euch haben.«

»Und die Lotusblume, die ich bringen sollte,« sagte die ägyptische Prinzessin, »die fliegt im Schwanengefieder mir zur Seite! Die Blume meines Herzens führe ich mit mir, so hat sich das Rätsel gelöst! Nach der Heimat! Nach der Heimat!«

Aber Helga sagte, sie könne das dänische Land nicht verlassen, ohne noch einmal ihre Pflegemutter, die liebevolle Vikingsfrau, gesehen zu haben. Ihr trat jede schöne Erinnerung, jedes liebe Wort, jede Träne vor die Seele, die die Pflegemutter geweint hatte, und in diesem Augenblicke war es fast, als liebe sie diese Mutter am meisten.

»Ja, wir müssen nach der Vikingsburg,« sagte Storchpapa, »dort harren unser die Mutter und die Jungen! Wie die die Augen verdrehen und mit dem Schnabel klappern werden! Ja, die Mutter spricht eben nicht viel, kurz und bündig ist sie und dabei meint sie es noch besser! Ich werde gleich eins klappern, damit sie hören, daß wir kommen!«

Storchpapa klapperte, daß es eine Art hatte, und er und die Schwäne flogen nach der Vikingsburg.

In der Burg lagen alle noch im tiefsten Schlafe; erst spät am Abende war die Vikingsfrau zur Ruhe gegangen; sie ängstigte sich um Helga, die nun seit drei vollen Tagen verschwunden gewesen nebst dem Christenpriester; Helga müßte ihm auf der Flucht behilflich gewesen sein, war es doch ihr Pferd, das in dem Stalle vermißt wurde – durch welche Macht aber sei dies alles bewerkstelligt. Die Vikingsfrau dachte an die Wunder, die man dem weißen Christen nachsagte, die durch ihn und diejenigen geschahen, die an ihn glaubten und ihm folgten. Die wechselnden Gedanken gestalteten sich in Traumleben, es schien ihr, als säße sie noch wach auf ihrem Lager und draußen herrschte die Finsternis. Der Sturm nähere sich, sie höre das Meer brausen und rollen im Osten und Westen, wie der Nordsee und des Kattegatts Fluten; die ungeheure Schlange, welche die Erde in der Meerestiefe umspannte, zitterte in krampfhaften Zuckungen; es sei die Nacht des Unterganges der Götter, Ragnarok, wie die Heiden den jüngsten Tag nannten, da alles vergehen solle, selbst die hohen Götter. Das Kriegshorn ertönte, und über den Regenbogen dahin ritten die Götter, in Stahl gekleidet, um den letzten Kampf zu kämpfen; ihnen voran flogen die beflügelten Valkyren, und die Reihe schlossen die der Gestalten der toten Kämpen, die ganze Luft umstrahlte sie mit Nordlichtflammen, aber die Finsternis; blieb siegend. Es war eine entsetzliche Stunde.

Dicht neben der geängstigten Vikingsfrau saß auf dem Fußboden Helga in der häßlichen Gestalt des Frosches, sie zitterte und schmiegte sich an die Pflegemutter, welche sie auf den Schoß nahm und in Liebe an sich drückte, wie häßlich auch die Froschgestalt war. Die Luft hallte wieder von Schwert und Keulenschlägen, von zischenden Pfeilen, als streiche ein Unwetter mit Hagel über sie dahin. Die Stunde war da, wo Himmel und Erde zerplatzen, die Sterne fallen, alles zu Grunde gehen würde in Surtus Feuermeere; allein sie wußte, daß eine neue Erde und ein neuer Himmel kommen, daß die Getreideäcker dort wallen und wogen würden, wo jetzt das Meer dahinrollt über den öden Seegrund, der unnennbare Gott herrschen würde – und zu ihm, zu Gott hinauf stieg Baldur, der milde, liebevolle, aus dem Reiche der Toten Erlöste, – er kam – die Vikingsfrau sah ihn, sie erkannte sein Antlitz – es war der gefangene Christenpriester. »Weißer Christ!« rief sie laut, und bei dem Ausrufe drückte sie einen Kuß auf die Stirn des häßlichen Froschkindes; da fiel die Froschhülle und Helga stand vor ihr in ihrer ganzen Schönheit; lieblich und mild wie noch nie und mit strahlendem Auge; sie küßte der Pflegemutter die Hände, segnete sie für alle Pflege und Liebe während der Tage der Prüfung und des Drangsals, für die Gedanken, die sie ihr eingeflüstert und in ihr geweckt, für die Nennung des Namens, den sie wiederholte: Weißer Christ! – und Schön-Helga erhob sich, ein mächtiger Schwan, die Flügel breiteten sich weit mit Brausen, wie wenn die Schaaren der Zugvögel davonziehen.

Die Vikingsfrau erwachte dabei, und draußen tönte noch derselbe starke Flügelschlag durch die Luft – sie wußte, es sei an der Zeit, wo die Störche ziehen, es müssen diese sein, deren Flug sie höre. Noch einmal wollte sie diese sehen und ihnen Lebewohl bei der Abreise sagen! Sie erhob sich vom Lager, trat auf den Söller, und nun erblickte sie auf dem Dachrücken des Seitenflügels und überall Storch an Storch, und rings um die Burg, über die hohen Bäume dahin, flogen die Schaaren in großen Kreisen, aber ihr und dem Söller gegenüber, am Brunnen, wo Helga so oft gesessen und sie durch ihre Wildheit geängstigt hatte, saßen zwei Schwäne und schauten sie mit klugen Augen an. Sie erinnerte sich an ihren Traum, derselbe erfüllte sie noch, als sei es Wirklichkeit, sie dachte an Helga in Schwanengestalt, dachte an den Christenpriester, und fühlte sich plötzlich recht frohen Herzens.

Die Schwäne schlugen mit den Flügeln, bogen die Hälse, als wollten auch sie einen Gruß entsenden, und die Vikingsfrau breitete ihre Arme gegen sie aus, als empfände sie dieses Alles, lächelte durch Tränen und war in tiefe Gedanken versunken.

Da erhoben sich mit Flügelgebrause und Schnabelgeklapper alle Störche für die Reise nach dem Süden.

»Wir warten nicht auf die Schwäne,« sagte Storchmama; »wollen sie mit, so mögen sie kommen! Wir können nicht hier sitzen, bis die Brachvögel reisen! Es ist doch was Schönes dabei, so Familienweise zu reisen, nicht wie die Finken und Rebhühner, wo die Hähne für sich und die Hühner für sich fliegen, das ist, aufrichtig gesprochen, nicht anständig! und was machen die Schwäne dort für einen Flügelschlag?«

»Nun, Jeder fliegt in seiner Weise!« sagte Storchpapa, »die Schwäne nehmen es schräge, die Kraniche im Dreieck und die Brachvögel in Schlangenlinie.«

»Rede nicht von Schlangen, wenn wir hier oben fliegen!« sagte Storchmama, »das gibt den Jungen Gelüste, die nicht befriedigt werden können.«

»Sind das die hohen Berge, von denen ich reden hörte?« fragte Helga im Schwanengefieder.

»Das sind Gewitterwolken, die unter uns treiben,« antwortete die Mutter. »Was sind das für weiße Wolken, die sich so hoch erheben?« fragte Helga.

»Das sind die ewig schneebedeckten Berge, die Du dort siehst!« sagte die Mutter, und sie flogen über die Alpen dem blauen Mittelmeer zu.

»Afrika’s Land! Ägypten’s Strand!« jubelte in Schwanengestalt die Tochter des Nils, indem sie, hoch von der Luft aus, ihre Heimat als einen weißgelben, wellenförmigen Streifen erblickte.

Und die Vögel alle erblickten denselben und beeilten ihren Flug.

»Ich wittere Nilschlamm und nasse Frösche!« sagte Storchmama, »es kribbelt mir im Magen; – ja jetzt werdet Ihr kosten! und Ihr werdet schauen Marabu, Ibis und Kraniche; sie gehören alle zur Familie; allein sie sind bei weitem nicht so schön wie wir; sie tun sehr vornehm, namentlich Ibis; er ist nur von den Ätgyptern verwöhnt, sie machen ihn zur Mumie, stopfen ihn mit Kräutern; ich will lieber mit lebendigen Fröschen gestopft sein, das wollt Ihr auch, und das sollt Ihr auch werden! Besser etwas im Magen, während man lebt, als zum Staat dienen, wenn man tot ist! Das ist meine Meinung, und die ist immer die richtige!«

»Jetzt sind die Störche gekommen,« sagte man in dem reichen Hause am Ufer des Nils, wo der königliche Herr in der offenen Halle auf weichem Polster lag, unter einem Leopardenfelle, nicht lebendig, auch nicht tot, hoffend und harrend der Lotusblume aus dem tiefen Moorgrunde im hohen Norden. Verwandte und Diener umstanden sein Lager.

In die Halle hinein flogen zwei prächtige Schwäne; sie waren mit den Störchen gekommen; sie warfen das blendend weiße Gefieder ab, und zwei reizende Frauengestalten standen da, einander ähnlich, wie zwei Tautropfen. Sie beugten sich über den blassen, alten, siechen Mann, warfen ihr langes Haar zurück, und indem Schön-Helga sich über den Großvater beugte, röteten sich seine Wangen, seine Augen flammten auf und seine starren Glieder bekamen Leben. Der Alte erhob sich gesund und verjüngt: Tochter und Enkelin umfingen ihn als zum Morgengruße in Freude nach einem langen schweren Traume.

Freude herrschte im ganzen Hause und auch im Storchneste, in diesem freilich zumeist über das gute Futter: die vielen Frösche, die gleichsam scharenweise aus der Erde wuchsen; und während die Gelehrten eiligst in flüchtigen Zügen die Geschichte von den beiden Prinzessinnen und von der Gesundheitsblume als ein wichtiges Ereignis und einen Segen für das Haus und das Land aufzeichneten, erzählte das Storchpaar sie seiner Familie in seiner Weise, doch erst, nachdem alle gesättigt waren, denn sonst hatten sie Anderes zu tun, als Geschichten anzuhören.

»Jetzt wirst Du endlich etwas werden!« flüsterte Storchmama, »das kann nicht anders sein.«

»Was sollte ich denn wohl werden?« sagte Storchpapa, »was habe ich denn getan? Gar nichts!«

»Du hast mehr als die Andern getan! Ohne Dich und die Jungen hätten die beiden Prinzessinnen Ägypten nie wieder gesehen und nie die Genesung des Alten bewerkstelligt. Du wirst zu Etwas! Man wird Dir gewiß den Doctorhut verleihen, und unsere Jungen werden später mit demselben geboren werden, und ihre Jungen wieder u. s. w.! Du siehst auch schon aus wie ein ägyptischer Doctor – in meinen Augen!«

Die Gelehrten und Weisen entwickelten den Grundgedanken, wie sie ihn nannten, der sich durch das ganze Ereignis zog: »Liebe gebiert Leben!« Diesen Satz legten sie in verschiedener Weise aus. Der heiße Sonnenstrahl war die Prinzessin Ägyptens, diese steige hinab zu dem Schlammkönige, und aus dieser Umarmung entspringe die Blume. –

»Ich vermag nicht so ganz genau die Worte zu wiederholen,« sagte Storchpapa, der vom Dache herab gelauscht hatte, und nun das, was er gehört, den Seinen wieder erzählen sollte. »Was sie sagten, war so verwickelt, es war so klug und ausgeklügelt, daß ihnen sofort Rang und Geschenke verliehen wurden, selbst der Mundkoch erhielt ein großes Zeichen der Auszeichnung – wahrscheinlich für die Suppe!«

»Und was bekamst denn Du?« fragte Storchmama. »Sie sollten doch nicht den Wichtigsten vergessen, und der bist Du jedenfalls! Die Gelehrten haben bei der ganzen Geschichte weiter nichts getan, als ihr Mundwerk gebraucht; doch das Deinige wird Dir wohl werden!«

In später Nacht, als des Schlafes milder Frieden auf dem neuen glücklichen Hause ruhte, wachte doch jemand – nicht Storchpapa, ungeachtet er auf einem Beine stand und Schildwache schlief, sondern Helga wachte. Sie beugte sich hinaus über den Altan und schaute in die klare Luft, blickte die großen leuchtenden Sterne an, größer und reiner an Glanz, als sie sie im Norden gesehen hatte, und doch dieselben. Sie dachte an die Vikingsfrau in der wilden Moorgegend, an die milden Augen der Pflegemutter und die Tränen, die sie über das arme Froschkind geweint hatte, das jetzt in Glanz und Sternenpracht an den Gewässern des Nils in herrlicher Frühlingsluft lebte. Sie gedachte der Liebe, die im Busen des heidnischen Weibes wohne, der Liebe, die einem elenden Geschöpfe, in Menschengestalt ein böses Tier, in Tiergestalt ekelerregend, erzeugt worden. Sie schaute die leuchtenden Sterne an und gedachte des Glanzes, der von der Stirn des Toten ausging, als sie mit ihm durch Wald und über Moor dahin flog, es klangen Töne in ihrer Erinnerung, Worte, die sie hatte aussprechen hören, als sie dahin ritten und sie staunend und zitternd durch die Lüfte getragen ward, Worte von dem großen Urquell der Liebe, der höchsten Liebe, die alle Geschlechter umfast.

Ja, was war nicht gegeben, gewonnen, erreicht! Schön-Helga vertiefte sich bei Tag, bei Nacht in die große Summe ihres Glücks, und stand im Anschauen derselben verloren, gleich dem Kinde, das sich eiligst vom Geber ab dem Gegebenen, all‘ den herrlichen Gaben zuwendet; sie ging gleichsam auf in die sich immer steigernde Glückseligkeit, die kommen könnte, kommen würde. War sie doch durch Wunder zu immer höherer Freude und höherem Glücke getragen, und in diesen Gedanken verlor sie sich eines Tages dergestalt, daß sie nicht mehr an den Geber dachte. Es war die Überschwänglichkeit des Jugendmuts, die ihre Flügel in keckem Schwung entfaltete! Ihre Augen leuchteten dabei, allein plötzlich riß sie ein lauter Lärm unten im Hofe aus dem kecken Gedankenschwung. Dort erblickte sie zwei große Strauße in engen Kreisen sehr schnell umherlaufen; sie hatte dieses Tier früher nie gesehen, – ein großer Vogel, plump und schwerfällig! die Flügel sahen aus, als seien sie gestutzt, der Vogel selbst als wenn ihm Gewalt angetan wäre, und sie fragte, was mit dem Tiere geschehen sei; und vernahm nun zum ersten Male die Sage, welche die Ägypter vom Vogel Strauß erzählen.

Einst sei das Geschlecht der Strauße schön und herrlich gewesen, die Flügel groß und stark; da sagten eines Abends die großen Vögel des Waldes zum Strauß: »Bruder, wollen wir morgen, so Gott will, nach dem Fluße fliegen und trinken?« Und der Strauß antwortete; »ich will es!« Mit Tagesanbruch flogen sie von dannen, erst richteten sie ihren Flug in die Höhe, hoch hinauf nach der Sonne, nach dem Auge Gottes, immer höher und höher, der Strauß allen den anderen Vögeln weit voran; der Strauß flog stolz gegen das Licht empor, er trotzte auf seine Kraft und gedachte nicht des Gebers, er sagte nicht: »so Gott will!« Da zog der strafende Engel den Schleier von dem Flammenmeere der Sonne hinweg und im Nu versengten die Flügel des Vogels, derselbe sank elend zur Erde. Der Strauß und sein Geschlecht vermag nimmermehr sich wieder zu erheben; er flieht schreckerregt, stürmt in Kreisen umher in dem engen Raume. Eine Warnung ist diese Sage für uns Menschen, daß wir bei unserem Denken und Trachten, bei jeder Handlung sprechen und sagen: »so Gott will!«

Und Helga beugte gedankenvoll und sinnend den Kopf, schaute den kreisenden Strauß an, dessen Angst, dessen einfältige Freude beim Anblicke seines eigenen, großen Schattens an der weißen, sonnenbestrahlten Mauer. Und der Ernst schlug seine tiefe Wurzel in Gemüt und Gedanke. Ein gar reiches Leben an gegenwärtigem und zukünftigem Glücke war gegeben, war gewonnen, – was würde wohl noch geschehen, noch kommen. – Das Beste! – »So Gott will!«

Im frühen Lenz, als die Störche wieder nach dem Norden zogen, streifte Schön-Helga ihr goldenes Armband ab, ritzte ihren Namen in dasselbe, winkte Storchpapa, legte ihm den goldenen Reif um den Hals und bat ihn, denselben der Vikingsfrau zu überbringen; diese würde alsdann wohl daraus entnehmen, daß die Pflegetochter lebe, glücklich sei und ihrer gedenke.

»Das ist schwer zu tragen!« dachte Storchpapa, als er es um den Hals hatte; »allein Gold und Ehre sind nicht auf die Heerstraße zu werfen! Der Storch bringt Glück, das werden sie dort oben schon eingestehen müssen!«

»Du legst Gold und ich lege Eier!« sprach Storchmama: »allein Du legst nur ein Mal, ich lege alle Jahre! – doch Anerkennung wird keinem von uns! Das kränkt einen!«

»Man hat das gute Bewußtsein, Mütterchen!« sprach Storchpapa.

»Das kannst Du nicht umhängen!« sagte Storchmama, »das gibt so wenig guten Wind, als es eine Mahlzeit gibt!«

Die kleine Nachtigall, die in dem Tamarindengebüsch sang, wird auch bald gen Norden ziehen; Schön-Helga hatte sie oft dort oben an dem Wildmoore singen hören, jetzt wollte sie ihr eine Botschaft mitgeben, sie verstand, seitdem sie im Schwanengefieder geflogen, die Sprache der Vögel, sie hatte dieselbe oft und wiederholt mit Storch und Schwalbe gesprochen die Nachtigall würde sie verstehen, Sie bat die Nachtigall, nach dem Buchenwalde auf der jütschen Halbinsel zu fliegen, woselbst der Grabhügel von Gestein und Gezweig aufgeworfen war, sie bat sie, alle kleinen Vögel zu bewegen, daß sie ihre Nester um die Grabstätte bauten und immer wieder und wieder ihre Lieder über das Grab ertönen ließen. Und die Nachtigall flog dahin – und die Zeit flog dahin!

Der Adler stand im Herbste auf der Pyramide und sah einen stattlichen Zug herannahen von reich beladnen Kamelen, von reich gekleideten, bewaffneten Männern auf schnaubenden arabischen Rossen, glänzend weiß wie Silber mit roten, zitternden Nüstern, mit großen, dicken Mähnen, die fast über die seinen Beine herab hingen. Reiche Gäste, ein königlicher Prinz aus Arabien, schön, wie ein Prinz sein soll, zog in das stolze Haus ein, auf dessen Dache jetzt das Storchnest leer stand; die, welche das Nest bewohnten, waren jetzt im hohen Norden, doch würden sie bald heimkehren. – Und gerade an dem Tage kehrten sie zurück, der so reich an Freude und Lust war. Hier wurde eine Hochzeit gefeiert, und Schön-Helga war die Braut, strahlend in Seide und Juwelen; der Bräutigam war der junge Prinz aus Arabien; Braut und Bräutigam saßen am obersten Ende der Tafel zwischen der Mutter und dem Großvater.

Allein sie blickte nicht den Bräutigam an mit den braunen männlichen Wangen, um welche ein schwarzer Bart sich kräuselte, sie schaute nicht in seine feurigen dunklen Augen, die an ihr hingen, sondern hinaus in den blinkenden Stern, der vom Himmel herabstrahlte.

Da brauste es mit starken Flügelschlägen in der Luft, die Störche kehrten heim, und das alte Storchpaar, wie ermüdet es auch von der Reise und der Ruhe bedürftig war, flog doch sogleich auf das Geländer der Veranda hinab, sie wußten schon, welches Fest begangen wurde. Sie hatten schon an der Landesgrenze vernommen, daß Helga sie an der Mauer hatte abbilden lassen, – gehörten sie doch auch zu ihrer Geschichte.

»Das ist sehr hübsch und sinnig,« sagte Storchpapa.

»Das ist sehr wenig!« sprach Storchmama, »weniger konnte es doch nicht sein!«

Als Helga sie erblickte, erhob sie sich und trat auf die Veranda, um ihr den Rücken zu streicheln. Das alte Storchpaar wiegte die Köpfe und neigte die Hälse, und die jüngsten Jungen fühlten sich sehr geehrt bei dem Empfange.

Helga schaute hinauf zu dem leuchtenden Stern, der immer klarer strahlte, und zwischen diesem und ihr bewegte sich eine Gestalt, reiner noch als die Luft, und dadurch sichtbar; sie schwebte ihr ganz nahe, es war der verstorbene christliche Priester; auch er kam zu ihrem Hochzeitsfest, kam aus dem Himmelreich.

»Der Glanz und die Herrlichkeit dort überstrahlt alles, was die Erde kennt« sprach er.

Und Schön-Helga bat so weich, so innig, wie sie noch nie gebeten hatte, daß sie nur eine einzige Minute dort hinein schauen dürfe, nur einen einzigen Blick in das Himmelreich zum Allvater hinein sehen dürfe.

Der Priester trug sie in Glanz und Herrlichkeit, in einem wogenden Meere von Tönen und Gedanken hinauf; nicht nur um sie, sondern auch in ihr leuchtete und klang es, Worte vermögen es nicht auszusprechen.

»Jetzt müssen wir zurückgehen, Du wirst vermißt!« sprach er.

»Nur noch einen Blick!« bat sie, »nur eine einzige, kurze Minute!«

»Wir müssen zur Erde hinab, die Gäste werden sich alle entfernen!«

»Nur noch einen Blick! den letzten –!«

Und Helga stand wieder in der Veranda – aber die Hochzeitsflammen draußen waren verschwunden, die Lichter alle im Festsaal erloschen, die Störche fort, nirgends ein Gast zu erblicken, kein Bräutigam, Alles in den kurzen Minuten wie zerstoben.

Da überkam sie eine Angst: sie schritt durch die leere große Halle in die nächste Kammer; dort schliefen fremde Krieger; sie öffnete eine Seitentür, die in ihre eigene Kammer führte, und indem sie wähnte, dort hineinzutreten, befand sie sich plötzlich im Garten – so sah es doch früher hier nicht aus, der Himmel leuchtete rot, es war Morgendämmerung.

Drei Minuten nur im Himmel, und eine ganze Erdennacht war verstrichen!

Da erblickte sie die Störche, sie rief diesen zu, redete ihre Sprache, und Storchpapa wendete den Kopf nach ihr, lauschte und näherte sich.

»Du sprichst unsere Sprache!« sagte er, »was willst Du? Weshalb erscheinst Du hier, – ein fremdes Weib?« »Ich bin es ja, bin Helga! kennst Du mich nicht? Vor drei Minuten sprachen wir zusammen, dort in der Veranda.«

»Das ist ein Irrthum!« sagte der Storch, »das hast Du alles geträumt.«

»Nein, nein,« sprach sie und erinnerte ihn an die Vikingsburg und das große Meer, an die Reise hierher –!

Da blinzelte Storchpapa mit den Augen: »Das ist ja eine alte Geschichte, die ich aus der Zeit meines Urgroßvaters gehört habe! Allerdings war hier in Ägypten eine solche Prinzessin aus dem dänischen Lande, aber sie verschwand am Abend ihres Hochzeittages vor vielen hundert Jahren und kehrte nie wieder! – Du kannst es selbst lesen dort auf dem Monument im Garten, dort sind Schwäne und Störche eingehauen, und oben stehst Du selbst in weißem Marmor!«

So war es. Helga sah es, verstand es und sank in die Knie.

Die Sonne brach strahlend hervor, und wie ehedem bei ihren Strahlen die Froschhülle verschwand und die herrliche Gestalt zum Vorschein kam, so erhob sich nun bei der Lichttaufe eine Schönheitsgestalt klarer, reiner als die Luft, ein Lichtstrahl – zu dem Vater hinauf.

Der Körper zerfiel in Staub: eine welke Lotusblume lag dort, wo Helga gestanden hatte.

»Nun, das war ein neuer Schluß der Geschichte!« sagte Storchpapa »den hatte ich freilich nicht erwartet! Aber er gefällt mir gut!«

»Was wohl die Jungen dazu sagen werden?« versetzte Storchmama.

»Ja, das ist freilich das Wichtigste!« sagte Storchpapa.

Hans Christian Andersen

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