🎅 Ein Brief vom Weihnachtsmann | eine Weihnachtsgeschichte

Ein Brief an den Weihnachtsmann
Novellen - Kurzgeschichten - BĂźcher - Daniela Noitz

Meine liebe Marie,

das Ganze ist schon lange her, Jahrzehnte, weshalb es mir erstaunlich vorkommt, dass ich mich an so viele Details erinnere. Ich erinnere mich an deine dunkelbraunen, dichten Haare, die du immer wieder versuchtest, hinter deinen Ohren zu verstauen, egal, wie oft sie sich wieder in die Ausgangsposition begaben, ich erinnere mich daran, wie du unbewusst im Mathe-Unterricht Lieder vor dich her gesummt hast. Ganz besonders gut erinnere ich mich an dein Lächeln, das zu jeder Zeit fähig war, einem etwas von deiner Wärme zu schenken. Ich habe es dir damals nie gesagt, aber ich war Hals Ăźber Kopf in dich verliebt. Bitte verzeih mir, es dir nie gesagt zu haben. Du musst nämlich wissen – ich war der unsicherste Junge, den man auf der ganzen Welt finden konnte.
Wahrscheinlich hast du davon gehĂśrt, ich bin berĂźhmt geworden. „Der Mann mit dem weißen Bart und dem roten Mantel’ wurde ich lange genannt, bis sich das Ganze zu dem Namen „Weihnachtsmann“ entwickelte. Man kann schon sagen: im beruflichen Leben habe ich es geschafft, ich bin weltberĂźhmt geworden fĂźr das, was ich tue. Jedes Kind kennt meinen KĂźnstlernamen. Ja, man kĂśnnte daraus schließen, ich mĂźsste glĂźcklich sein.
Marie, was ich dir sagen mĂśchte ist, dass mir etwas noch heute leid tut, und ich wĂźnschte, du kĂśnntest mir verzeihen, dann kĂśnnte ich mir endlich selbst verzeihen. Du kannst dich sicher an den Tag erinnern, als ich meine rote MĂźtze mit dem weißen Pompon zur Schule anzog. Ich denke, unsere MitschĂźler hatten einen Schock: dieser seltsame Junge, der ohnehin mit seinen langen Haaren und der schwarzen Brille mit den runden Gläsern gegen alle mĂśglichen Regeln des SchulkĂśnigreiches verstieß, wollte jetzt auch noch mit dieser unmĂśglichen unmodischen MĂźtze provozieren. Auf dem Schulhof zertrampelten sie zuerst meine Brille, während ich ohne mich zu wehren daneben stand. Dann fing einer von ihnen an, mich mit den schlimmsten WĂśrtern zu bewerfen. (Wenn ich ehrlich bin, verfolgen mich manche von ihnen immer noch in meinen Träumen) Da kamst du mit einem Stapel BĂźchern vorbei. Du trugst einen hellblauen Pullover, es war Herbst. Als die hässlichen Worte auch in deine Ohren gelangten, glitten dir die BĂźcher aus den Händen und du schrittest wie ein Engel auf die Jungen zu. Die Jungen, die durch das Fallen der BĂźcher auf dich aufmerksam geworden waren, sahen Ăźberrascht zu, wie deine Gestalt im Näherkommen immer größer wurde. “ Was will denn jetzt Marie von uns?“, flĂźsterte Max den Anderen zu. “ Mariechen, hau ab! Das ist hier nichts fĂźr kleine Strebermädchen“ rief dir Henri zu. Du schienst ihn nicht zu hĂśren. Du stelltest Dich zwischen mich und den Jungen, mit dem Gesicht zu ihnen und dem RĂźcken zu mir und dann … dann… geschah etwas atemberaubendes: du breitetest deine Arme aus! Du sagtest kein Wort. Du starrtest dem AnfĂźhrer der kleinen Gruppe einfach direkt in die Augen. Und der AnfĂźhrer, ich glaube, er begriff etwas in diesem Moment. Er war irgendwie peinlich berĂźhrt und versuchte, sein Selbstvertrauen mit Hilfe von ein paar dummen SprĂźchen wiederzufinden. Aber wie du da standst, ohne dich von der Stelle zu bewegen, auf ihn starrend, konnte er es nirgendwo finden. Und, oh Wunder, er verschwand mit seinen mutigen Jungen.
Der erste Tag nach den Weihnachtsferien. Alle prahlten und Ăźbertrieben die Großartigkeit der eigenen Geschenke . Es wurde darum gestritten, wer wohl das Teuerste Geschenk bekommen hatte. Als du nach deinem Geschenk gefragt wurdest, antwortetest du, dass du diese Weihnachten ohne Geschenk geblieben bist. Die Mädchen starrten dich ungläubig an “ An Weihnachten ohne Geschenke ?? Haha… armselig!“ – die Eine. „Ha, du Loser! Jeder bekommt etwas geschenkt zu Weihnachten ! Sind deine Eltern Obdachlose, oder was?“ – eine Andere. Ich sah dir eine Träne herunterrollen, eine kleine, leise Träne, gefolgt von einer weiteren und noch einer. Es entschuldigt mich nicht, nein, aber mir war es damals gelungen, erstmals zu einer Gruppe zu gehĂśren. Als ich deine Tränen herunterrollen sah und sich unsere Blicke fĂźr einen Moment begegneten, drehte ich mich zu meinen Jungs zurĂźck, während die Mädchen brutal weiter auf dich Giftpfeile abschossen: „Hahaha, ich habe mal deinen Vater die Straße kehren sehen. Da verdient man wohl nicht so viel!“ – die Dritte. Was fĂźr ein Feigling ich doch gewesen bin! Ich hätte aufstehen sollen, auf die Mädchen zugehen und ihnen sagen sollen, dass du so viel wertvoller bist als alle anderen !!! Dass sie kein Recht haben , dich so zu verhĂśhnen und zu verletzen. . Ich wollte dich ansprechen, dir sagen, dass es mir leid tut und dass mir bewusst ist, dass ich mich wie ein feiger Idiot verhalten habe. Ich sprach dich an, aber du redetest nicht mit mir und ich verstehe das.
Marie, verstehst du jetzt etwas? Ich habe mir den Beruf “ Weihnachtsmann“ nicht ohne Grund ausgewählt. Es ist der Beruf, der dazu beiträgt, dass kein Kind jemals ohne ein Geschenk bleibt. Wegen dir, Marie , bin ich „Der Weihnachtsmann“ geworden. Weißt du, vor kurzem erst sagte einer meiner Weihnachtselfer zu mir: „Mein lieber Weihnachtsmann, jedes Jahr erfĂźllst du die WeihnachtswĂźnsche von unzählbaren Milliarden von Kindern“ – “ Ja“, antwortete ich. — “ Aber was ist denn dein eigener größter Wunsch ?“ , wisperte er . Wie ein Blitz traf mich ein Bild von dir, wie du da standst in deinem hellblauen Pullover im Herbst auf dem Schulhof. Ich habe einen größten Wunsch, Marie! Ich weiß, dass du heute deine Familie schon hast. Deinen TĂśchtern schenke ich immer besonders teure Geschenke, deswegen ist das nicht ein Wunsch von mir. Mein Wunsch, er ist vielleicht albern… Ich wäre gerne mit dir befreundet, Marie.
Liebe Grüße,
Dein Nikolaus

Autor: Juliania Bumazhnova

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