Baba Jaga – ein russisches MĂ€rchen

Baba Jaga - ein MĂ€rchen aus Russland
Novellen - Kurzgeschichten - BĂŒcher - Daniela Noitz

Es war einmal ein Mann und seine Frau, die hatten eine Tochter. Sie lebten glĂŒcklich miteinander, doch eines Tages wurde die Frau schwer krank und starb. Lange Zeit war der Mann sehr traurig, aber einige Jahre spĂ€ter heiratete er doch eine andere Frau. Diese war ein böses Weib. Von Anfang an hasste sie die Tochter des Mannes, schimpfte und schlug sie sogar. Sie plante sogar noch böseres: Als der Mann lĂ€nger verreisen musste, machte sie einen Plan, das MĂ€dchen zu Tode kommen zu lassen. Sie sprach zu dem MĂ€dchen:

„Geh zu meiner Schwester und lass Dir von ihr Nadel und Faden geben, damit ich Dir ein neues Kleid nĂ€hen kann.“ Ihre Schwester aber war Baba Jaga, eine böse Hexe. Das MĂ€dchen hatte Angst vor ihrer Stiefmutter und traute sich nicht zu widersprechen. Voller Angst ging sie aus dem Haus. Auf dem Weg zu Baba Jaga kam sie beim Haus ihrer Tante, der Schwester ihres Vaters, vorbei. Die stand in ihrem Garten und schaute sie freundlich an.

„Sei gegrĂŒĂŸt, liebste Tante.“

„Hallo MĂ€dchen, wohin gehst Du denn so betrĂŒbt?“

„Meine Stiefmutter hat mich zu ihrer Schwester geschickt, um Nadel und Faden zu holen. Und Du weißt doch, ihre Schwester ist die böse Hexe Baba Jaga.“

„Da hast Du gut getan, dass Du vorher bei mir vorbei gekommen bist“ sprach da die Tante. „Warte hier.“ Sie ging ins Haus und kam mit einem Band, einem Brot, einem Krug Öl und einem StĂŒck Fleisch zurĂŒck.

„Nimm diese Sachen. Dich wird eine Birke mit ihren Ästen schlagen, um Dich beim Gehen zu stören. Mit dem Band binde die Äste zusammen. Ein Tor wird quietschen und Dich nicht durchlassen, öle die TĂŒrangel. Hunde werden Dich beißen wollen, gib ihnen vorher das Brot und eine Katze wird Dich kratzen wollen, so gibt ihr vor ihrer Tat das Fleisch.“

Das MĂ€dchen ging in den Wald und kam an eine HĂŒtte, die auf riesigen Beinen stand, die wie die von einem Huhn aussahen. In der HĂŒtte saß Baba Jaga mit ihren knochigen Beinen und webte. Die TĂŒr stand offen und das MĂ€dchen trat ein.

“Seid gegrĂŒĂŸt, Baba Jaga.“

„Was willst Du MĂ€dchen?“

„Meine Stiefmutter, Deine Schwester, schickt mich. Ich soll bei Dir fĂŒr sie Nadel und Faden holen, damit sie mir ein Kleid nĂ€hen kann.“

„Du wirst beides erhalten. Aber wĂ€hrend ich die Sachen hole, musst Du hier weiter fĂŒr mich weben.“

Da setzte sich das MĂ€dchen und webte. Baba Jaga ging in den Nachbarraum der HĂŒtte, wo sich ihre Magd befand und sagte zu ihr: „Ich gehe jetzt ins Bett. Heize den Ofen und wasche das MĂ€dchen, das im anderen Zimmer fĂŒr mich webt. Wenn ich aufwache, will ich es braten und essen.“ Da Baba Jaga die TĂŒr nicht richtig geschlossen hatte, hatte das MĂ€dchen gehört, was diese zu ihrer Magd gesagt hatte. Sie bekam furchtbare Angst. Als Baba Jaga im Bett war, ging sie zur Magd und bat sie: „Hab erbarmen mit mir! Mach kein Feuer im Ofen!“ Sie reichte ihr ein kostbares Tuch, das sie einst von ihrer Mutter bekommen hatte und schaute sie flehentlich an.

Da erwachte Baba Jaga. Eilig lief das MĂ€dchen zurĂŒck zum Webstuhl und begann wieder emsig zu weben. Da fragte die Hexe durch die geschlossene TĂŒre.

„Webst Du auch schön, MĂ€dchen?“

„Ich webe noch“ antwortete das MĂ€dchen laut und sprach dann leise zu einem Kater, der durch die Stube lief. „Katerchen, weißt Du, wie man von hier fliehen kann?“ Sie erinnerte sich an die Worte ihrer Tante und gab ihm das StĂŒck Fleisch, das sie von ihr bekommen hatte. Der Kater aß es und antwortete ihr: „Hör zu. Auf dem Tisch dort drĂŒben liegt ein Handtuch und ein Kamm. Nimm beide und lauf, so schnell Du kannst. Baba Jaga wird schnell merken, wenn Du aus ihrer HĂŒtte lĂ€ufst und Dich verfolgen.

Sie kann rennen wie der Wind. Sobald sie dich fast einholt, wirf den Kamm hinter Dir auf die Erde. Sofort wird, wo er den Boden berĂŒhrt, ein dichter Wald wachsen. So lange sich Baba Jaga durch den Wald kĂ€mpfen muss, renne weiter. Wenn Sie Dich wieder einholt, wirf das Handtuch hinter Dich. Sofort wird dort, wo es den Boden berĂŒhrt, ein Fluss entstehen.“

„Ich danke Dir vielmals, Katerchen“ sprach das MĂ€dchen. Sie nahm den Kamm und das Handtuch und rannte aus der HĂŒtte. Da kamen um die HĂŒtte zwei Hunde gerannt und wollten sie beißen und in StĂŒcke reißen. Das MĂ€dchen warf das Brot zu ihnen und sie schnappten danach und ließen sie in Ruhe.

Sie rannte weiter und kam an ein Tor. Quietschend sprang es auf und zu und war nie lange genug offen, dass jemand hindurch eilen konnte. Das MĂ€dchen goss ihr Öl auf seine Angeln, da blieb es offen stehen und ließ sie durch. Da kam sie an eine Birke, die sie mit ihren Ästen aufhalten wollte, doch sie band die Äste mit dem Band zurĂŒck und so ließ auch die Birke sie weiter laufen.

Inzwischen hatte sich der Kater an den Webstuhl gesetzt und die Arbeit des MĂ€dchens fortgefĂŒhrt. Zumindest tat er so, als ob er weben wĂŒrde und klapperte fleißig mit dem Webstuhl. Da erwachte Baba Jaga erneut und fragte:

„Webst Du auch schön, MĂ€dchen?“

„Ich webe noch“ antwortete der Kater. Doch die Hexe merkte an der Stimme, dass etwas nicht stimmte und stĂŒrzte ins Zimmer. Da sah sie, dass nun der Kater und nicht mehr das MĂ€dchen am Webstuhl saß. Da schimpfte Baba Jaga den Kater:

„Du BetrĂŒger ! Du VerrĂ€ter ! Warum hilfst Du dem MĂ€dchen? Warum hast Du sie nicht aufgehalten? Warum hast Du ihr das Gesicht nicht zerkratzt?“ Da sprach der Kater: „Ich diene Dir schon viele Jahre, doch niemals erhielt ich von Dir auch nur einen Knochen! Aber das MĂ€dchen hat mir sofort ein gutes StĂŒck Fleisch geschenkt!“

Da öffnete Baba Jaga die TĂŒr, rannte hinaus und sah ihre beiden Hunde das Brot essen. WĂŒtend sagte sie zu ihnen: „Warum habt Ihr das MĂ€dchen nicht in StĂŒcke gerissen? Warum habt Ihr sie laufen lassen?“ Da meinten die Hunde: „Wir stehen in Deinen Diensten schon viele Jahre, doch niemals erhielten wir von Dir auch nur eine alte Brotrinde! Aber das MĂ€dchen hat uns sofort ein ganzes frisches Brot geschenkt!“

Da lief Baba Jaga zum Tor und rief ihm zu „Warum bliebst Du nicht geschlossen? Warum hast Du das MĂ€dchen durch gelassen?“ Da seufzte das Tor: „Ich bin Dir zu Diensten schon viele Jahre und quietschte bereits jĂ€mmerlich. Doch niemals hast Du auch nur Wasser auf meine Angeln gegossen. Das MĂ€dchen hat mich mit Öl geschmiert!“

Da rannte Baba Jaga durch das Tor und kam an der Birke vorbei. Sie sprach zu ihr: „Warum hast Du das MĂ€dchen mit Deinen Ästen nicht aufgehalten? Warum hast Du ihr nicht in die Augen gestochen ?“ Der Baum antwortete: „ Ich diene Dir schon viele Jahre. Du hast mich nicht einmal mit einem Faden zusammen gebunden. Das MĂ€dchen hat mir ein schönes Band geschenkt!“

Da sah Baba Jaga die Magd und schimpfte sie: „Du dumme Göre! Warum hast Du sie nicht aufgehalten?“ Die Magd antwortete: „So viele Jahre diene ich Dir. Doch nie warst Du freundlich zu mir. Das MĂ€dchen aber hat mir ein feines Tuch geschenkt und war sehr höflich und nett.“

Baba Jaga sprang in ihren großen Zauberbottich, der dicht ĂŒber den Boden fliegen konnte und nahm mit dieser die Verfolgung des MĂ€dchens auf. Mit einem StĂ¶ĂŸel beschleunigte sie, mit einem Besen verwischte sie ihre Spur und die Erde bebte, ĂŒberall wo sie vorbei kam.

Das MĂ€dchen rannte derweil, so schnell es konnte. Bald spĂŒrte es, wie die Erde zitterte und Baba Jaga in ihrem fliegenden Bottich nĂ€her kam. Da nahm sie den Kamm aus dem Hexenhaus und warf ihn hinter sich auf den Boden. Dort wuchs augenblicklich ein dichter und hoher Wald mit tief im Erdreich verwurzelten BĂ€umen. Über diesen konnte Baba Jaga nicht hinĂŒber und stieß bei ihrer Verfolgung gegen die BĂ€ume. Da biss die böse Hexe in die dicken Zweige und knickte sie um, bis sie so durch den Wald hindurch gelangte und nahm die Verfolgung des MĂ€dchens wieder auf. Eine Weile spĂ€ter spĂŒrte das MĂ€dchen wieder das Zittern des Bodens hinter ihr, da ihr die Hexe erneut nĂ€her und nĂ€her kam. Da warf das MĂ€dchen das Handtuch aus dem Hexenhaus und warf es hinter sich ĂŒber die Schulter auf den Boden. Sofort entstand dort ein breiter Fluss. Schon einen Moment spĂ€ter kam Baba Jaga ans Ufer, Ă€rgerte sich und knirschte mit ihren ZĂ€hnen. Über das Wasser konnte sie mit ihrem Zauberbottich nicht hinĂŒber. Sie ging fort, kehrte mit einer Herde Rinder zurĂŒck und befahl ihnen, den Fluss leer zu trinken. Sie tranken und tranken, doch das Wasser wurde nicht weniger. Da legte sich die Hexe selbst mit ans Ufer und begann zu trinken. Sie trank und trank und trank, wurde dicker und dicker – und platzte.

SpĂ€t am Abend desselben Tages kehrte der Vater des MĂ€dchens von seiner Reise zurĂŒck und fragte seine Frau, die böse Stiefmutter: „Wo ist meine Tochter?“ „Sie ist zu ihrer Tante gegangen, Nadel und Faden zu holen. Sie ist wohl irgendwo aufgehalten worden.“ Der Vater machte sich Sorgen, da seine Tochter sonst nie so lange aus blieb und wollte schon seine Tochter suchen gehen. Da ging die TĂŒr auf und vom laufen völlig außer Atem kam das MĂ€dchen herein.

“Wo bist Du gewesen?“ fragte sie der Vater. „Oh Vater. Die Stiefmutter hat mich zu ihrer Schwester geschickt, doch die war die böse Hexe Baba Jaga! WĂ€re ich ihr nicht entkommen, hĂ€tte sie mich mit Haut und Haaren gefressen!“

Da nahm der Vater den Besen und jagte das böse Weib aus dem Haus. Seitdem lebte er alleine mit seiner Tochter glĂŒcklich und in Wohlstand zusammen und damit ist das MĂ€rchen vorbei.

Alexander Nikolajewitsch Afanasjew – aus Russland 

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