Doch es ist nichts zum Essen da,
kein Happen für den hohlen Zahn, oh je!
Da macht sich einer lustig! Und zwar so, dass ich auch lachen muss, immer wieder, wenn ich mir den Videoclip der Gruppe Sābri mit dem Lied „Cirvja kāta zupa” (wörtlich: „Axtstielsuppe“) anschaue. Der ist einfach genial! Um die gute Laune weiter zu verbreiten, stelle ich ihn hier noch einmal hin und versuche mich dann an ein paar Erklärungen.
Erklärung Nr. 1: Die „Axtstielsuppe“ kommt aus einem Märchen, das in Variationen in ganz Europa bekannt ist – auf Deutsch findet man es unter „Axtsuppe“,oder „(Kiesel-)Steinsuppe“ oder ähnlich, auf Englisch vor allem unter „Stone soup“. In der lettischen Variante, mit der dieses Lied spielt, kommt ein ausgedienter Soldat zu einem Bauernhof und bittet um etwas zu essen. Die geizige Bäuerin will ihm nichts geben, worauf er nur um einen Kessel Wasser bittet, in dem er sich Suppe aus einem Axtstiel kochen will. Als er den bekommt, bittet er noch um etwas Salz. Dann, um die Suppe abzurunden, um eine Zwiebel. Dann um eine Handvoll Graupen. Dann um…, und so weiter, bis eine gute Suppe fertig ist (worauf man den Axtstiel wieder entfernen kann). Die Lehre daraus ist, dass man mit Witz und Fantasie auch in schwierigen Zeiten etwas zu Essen findet (und dass es eine besondere Tugend ist, geizigen Leuten etwas aus den wohlgefüllten Taschen zu ziehen; in westeuropäischen Varianten ist die Moral oft eher die „von den Freuden des Teilens und der Geselligkeit“, wie es im Kommentar zu einem Figurentheaterspiel, das auf einem irischen Märchen basiert, heißt. Darum geht es in Osteuropa eher nicht, diese Freuden sind hier wohl zu selbstverständlich).
Im Lied wird das Rezept so abgekürzt:
Man nehme einen Axtstiel, das sagt des Volkes sechster Sinn, *)
dann überrede man das liebe Leben, dies und das noch zuzugeben.
[ *) im Lettischen reimt sich kāts „Stiel“ auf prāts „Sinn“, was wohl der Anlass für die obige Zeile war. Überhaupt hat sich der Autor nicht allzu viel Mühe mit dem Text gegeben, aber auch das gehört zum Witz. ]
Erklärung Nr. 2: Das Video spielt sehr schön mit einigen Stereotypen vom Land (lauki), das bekanntlich arm und zurückgeblieben ist. Im Portemonnaie herrscht Ebbe (auf Lettisch „pfeift der Wind“ darin), der Traktor ist veraltet, die Kleidung schlicht und das Mobiliar spartanisch. Allen geht es schlecht:
Nun gebe ich dir kund, was allen wohlbekannt,
du kannst es glauben oder nicht, ein Geheimnis ist es nicht:
So schwer ist es für dich, so schwer ist für mich,
hohl klingt der leere Suppentopf, die Zähne bleiben arbeitslos, oh je.
Und das singen sie so gut gelaunt und kneifen sich dabei in die fülligen Seiten.
Damit (Erklärung Nr. 3) ironisieren sie auch den lettischen Kantri und die typischen Videoclips, bei denen die Musiker schwermütig unter ihren Cowboyhüten hervorlinsen oder mit finster-entschlossenem Blick voranschreiten. Und die Choreographie!!! Was auf den ersten Blick wie Squaredance aussieht, entwickelt sich in wenigen Minuten zum Kreis im Kornfeld. Die Zirkulation des Quadrats!
Also ich finde das genial. So könnte lettischer Kantri sein, so würde er mir gefallen.
Übrigens:
Die Gruppe Sābri (das heißt „Nachbarn“ auf Lettgallisch) macht ansonsten eher traditionelle Volksmusik. Sie kommt aus der Gemeinde Salnava oben rechts in Lettland, in der 2010 auf 167 Quadratkilometern 850 Einwohner lebten (Bevölkerungsdichte 5,1 Menschen pro km2).
Die Line-Dance-Gruppe mit dem weniger lettischen Namen „Čili-Čača“ kommt aus der benachbarten Gemeinde Mežvidi, die 1012 Einwohner und eine Bevölkerungsdichte von 8,1 pro km2 hatte.
Da sieht man wieder, dass es auf dem “leeren” lettischen Land eine Menge buntes Leben gibt!
aus Lettland
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