Man erzĂ€hlt ferner: Einst lebte unter den Söhnen Israels ein sehr tugendhafter und gottesfĂŒrchtiger Mann, der sein Herz allen weltlichen Dingen verschlossen hatte, auch seine treue Gattin teilte seine Frömmigkeit und seine Duldung. Sie ernĂ€hrten sich lange von ihrer HĂ€nde Arbeit, flochten den ganzen Tag FĂ€cher, MĂŒckenwehrer und dergleichen, damit ging der Mann Abends auf die StraĂen und MĂ€rkte, bis er sie verkaufte, und brachte fĂŒr das Geld Lebensmittel nach Hause. Als der Mann eines Tages nach vollendeter Arbeit in einer StraĂe umherging, wo er KĂ€ufer suchte, sah ihn die Frau eines vornehmen Weltmannes und fand ihn so schön und ehrwĂŒrdig, dass sie sich leidenschaftlich zu ihm hingezogen fĂŒhlte. Da ihr Mann gerade abwesend war, sagte sie zu ihrer Dienerin: „Kannst du vielleicht ein Mittel erfinden, den Mann, der da vorĂŒbergeht, hereinzubringen und zu veranstalten, dass er unbemerkt die Nacht bei mir zubringe?“ Die Dienerin ging zu ihm auf die StraĂe, rief ihm nach, sie wolle ihm Etwas abkaufen, und lockte ihn so bis zur HaustĂŒre. Dann sagte sie ihm: „Komm herein, setze dich auf die Bank hier, dass ich deine Waren meiner Herrin zeige, damit sie aussuche, was sie zu kaufen wĂŒnscht.“ Da der Mann kein Misstrauen hegte, folgte er der Dienerin ins Haus, ohne irgend ein Ăbel zu befĂŒrchten. Aber kaum hatte er sich niedergesetzt, verschloss die Dienerin die HaustĂŒre und ihre Herrin kam aus ihrem Gemache, zog ihn zu sich hinein und sagte: „Wie lange wĂŒnsche ich schon mit dir allein zu sein! Mit welcher Ungeduld erwartete ich diesen Augenblick! sieh, das Zimmer ist berĂ€uchert, das Essen ist bereit, der Herr des Hauses kommt heute Nacht nicht nach Hause, und ich liebe dich von ganzem Herzen. Wie manche Könige und GroĂe und Reiche haben schon um meine Liebe sich beworben; aber du bist der erste Mann, dem ich eine solche Gunst bezeige.“ Die Frau sprach noch Vieles in diesem Sinne, aber der Mann hob seinen Kopf nicht in die Höhe, weil er vor Gott sich scheute und seine schwere Strafe befĂŒrchtete. Als er aber kein Mittel sah, sie los zu werden, sagte er: „Ich habe eine Bitte an dich.“ – „Worin besteht sie?“ – „Gib mir reines Wasser und lass mich auf der Terrasse deines Hauses waschen und Etwas verrichten, was ich dir jetzt nicht sagen kann.“ – „Das Haus ist groĂ und hat verborgene Winkel gar viele, sowie auch ein Reinigungszimmer, du brauchst nicht auf die Terrasse zu gehen.“ – „Ich muss den höchsten Platz im Hauses besteigen.“ Da rief sie eine Dienerin und sagte ihr: „Geh‘ mit dem Mann auf die Terrasse des Hauses und nimm ein Waschbecken voll Wasser mit!“ Als der Mann auf der Terrasse war, wusch er sich, betete, blickte dann auf die StraĂe hinunter und merkte wohl, dass, wenn er hinunterspringen wollte, er zerstĂŒckelt auf den Boden kommen wĂŒrde. Doch dachte er an die groĂe SĂŒnde, die er begehen sollte, und an deren harte Strafe, und entschlossen, sein Leben zu opfern, rief er aus: „Mein Gott und Herr! Du siehst meine Lage und weiĂt, dass ich gerne mein Leben hingebe, um dein Wohlgefallen zu erlangen, doch bist du ja allmĂ€chtig.“ Als er diese Worte vollendet hatte, warf er sich von der Terrasse herunter; aber Gott schickte einen Engel, der ihn auf seine FlĂŒgel nahm und sanft auf die Erde niederlieĂ, ohne das er sich nur im Mindesten beschĂ€digte.
Als der fromme Mann den Boden erreichte, dankte er Gott, der ihn fĂŒr sein Vertrauen so reichlich belohnt, und ging mit leerer Hand zu seiner Gattin. Sie fragte ihn, warum er so lange ausgeblieben und was er mit der mitgenommenen Arbeit angefangen? Er erzĂ€hlte ihr, was ihm fĂŒr eine Versuchung zugestoĂen und wie ihn Gott auf eine wunderbare Weise gerettet. Die Frau sagte hierauf: „Da unsere Nachbarn wissen, dass wir jeden Tag fasten und Abends Feuer machen, um unser Abendessen zu kochen, so wollen wir in Gottes Namen auch diesen Abend Feuer anzĂŒnden, um ihnen unsere Armut zu verbergen; wir aber wollen auch diese Nacht noch fortfasten.“
Sie ging dann und machte ein groĂes Feuer, um die Nachbarn zu tĂ€uschen; dann wusch sie sich und betete mit ihrem Mann das Nachtgebet. Auf einmal kam eine ihrer Nachbarinnen, um Feuer bei ihr zu holen. Die JĂŒdin sagte ihr, sie möchte nur an den Ofen gehen. Als die Nachbarin aber an den Ofen trat, rief sie der JĂŒdin, sie möchte doch schnell ihr Brot aus dem Ofen nehmen, ehe es verbrenne. Die JĂŒdin sagte zu ihrem Manne: „Hast du gehört, was diese Frau sagte?“ Er erwiderte: „Geh‘ einmal und sieh nach!“ Die Frau stand auf und ging an den Ofen, und siehe da, er war mit Brot gefĂŒllt von dem allerfeinsten und weiĂesten Mehle. Sie brachte es, Gott dankend, ihrem Mann und sie aĂen mit einander davon. Dann sagte sie: „Lass uns zu Gott beten, dass er uns Etwas beschere, wodurch wir diesem armseligen Leben und dieser harten Arbeit enthoben werden, damit wir uns ganz seinem Dienste hingeben können.“ Als sie miteinander gebetet hatten, spaltete sich auf einmal das Dach des Hauses, und es fiel ein Rubin herunter, der das ganze Haus beleuchtete. Sie freuten sich ĂŒber alle MaĂen mit dieser Gabe Gottes und dankten ihm immer mehr fĂŒr seine Huld. Als sie aber spĂ€t in der Nacht einschliefen, trĂ€umte die Frau, sie befinde sich im Paradiese, wo sie viele Kanzeln und unzĂ€hlige Throne aufgestellt sah. Sie fragte, fĂŒr wen dies wĂ€re. Man sagte ihr: „Die Kanzeln sind fĂŒr die Propheten, und die Throne fĂŒr die Aufrichtigen und Frommen.“ Sie fragte dann nach dem Throne ihres Gatten. Man zeigte ihn ihr, und sie bemerkte eine Spalte auf einer Seite. Sie fragte: „Was bedeutet diese Spalte?“ Man antwortete ihr: „Sie bedeutet den Rubin, der euch vom Himmel gesandt worden.“ Hierauf erwachte die Frau aus ihrem Traum und weinte und war sehr traurig wegen des mangelhaften Thrones ihres Gatten mitten unter makellosen der andern Frommen, und sie sagte zu ihrem Manne: „Bete zu Gott, dass er diesen Rubin wieder zurĂŒcknehme; es ist besser, diese wenigen Tage noch Armut und Hunger ertragen, als unter den vortrefflichen MĂ€nnern auf einem mangelhaften Throne sitzen.“ Der Mann betete, der Rubin flog wieder durch das Dach fort, und das fromme Ehepaar lebte in Armut und Gottesverehrung, bis sie der Herr zu sich rief.
aus 1001 NachtÂ
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