Der Wolkenmann und der König | ein arabisches Märchen aus 1001 Nacht

Der Wolkenmann - ein Märchen aus Japan
Novellen - Kurzgeschichten - Bücher - Daniela Noitz
Man erzählt noch: Es lebte einst unter den Söhnen Israels ein durch seine Frömmigkeit berühmter Mann auf dem Gebirge als Einsiedler. Er betete ganz Nächte durch, und Gott gewährte ihm stets, was er von ihm begehrte. Gott stellte sogar eine Wolke zu seiner Verfügung, die ihm überall hin folgte und ihn mit Wasser versah, sowohl zum Waschen, als zum Trinken. Eines Tage ließ er sich aber im Dienste des Herrn eine Nachlässigkeit zu Schulden kommen; da entzog ihm Gott seine Wolke und erhörte seine Gebete nicht mehr. Der Einsiedler ward sehr bestürzt, bereute sein Vergehen und entbrannte vor Sehnsucht nach der Stunde, wo ihm Gott seine Huld wieder schenken würde. Als er eines Nachts mit diesem Wunsche beschäftigt einschlief, wurde ihm im Traum gesagt: „Wünschest du, dass dir Gott deine Wolke wiedergebe, so gehe zu dem König N.N. und bitte ihn, dass er für dich bete, denn nur durch den Segen seines Gebetes wird sie dir Gott wieder gewähren.“ Der Einsiedler machte sich am folgenden Morgen auf die Reise nach dem Lande, das ihm im Traum angegeben worden, und erkundigte sich nach dem Palaste des Königs. Als man ihn dahin führte, sah er einen Jüngling auf einem hohen Stuhle vor der Türe sitzen, der ihn fragte, was er wolle? Der Einsiedler antwortete: „Mir ist ein Unrecht geschehen, das ich dem König klagen will.“ Da sagte der Pförtner: „Du kannst heute nicht zu ihm gelangen, der König hat einen besonderen Tag in der Woche dazu bestimmt, alle Bittenden anzuhören; warte also, bis dieser Tag kommt.“ Als der Einsiedler hörte, wie der König so abgeschlossen von seinem Volke lebte, dachte er: Wie kann dieser Mann ein Heiliger sein? Doch wartete er, bis der bestimmte Audienztag kam, den der Pförtner angezeigt hatte, dann ging er wieder vor das Schloss und fand vor dem Tore viele Leute, welche warteten, bis sie vorgelassen wurden. Endlich kam ein Vezier mit einigen Dienern und Sklaven und ließ die Bittenden ins Schloss treten. Im Audienzsaale saß der König, von den Großen seines Reichs umgeben, und vor ihm stand der Vezier, der einen Bittenden nach dem andern ihm vorstellte. Als endlich die Reihe an dem Einsiedler kam, sah ihn der König eine Weile an und sagte dann: „Willkommen, Herr der Wolke! setze dich, bis ich mit den Übrigen zu Ende bin.“

Der Einsiedler war sehr erstaunt über diese Anrede sowohl, als über das Talent, das der König in der Ausübung seines Amtes entwickelte. Nachdem er mit vieler Weisheit alle ihm vorgetragenen Streitfragen geschlichtet hatte, erhob er sich, fasste den Einsiedler bei der Hand und führte ihn ins Innere des Schlosses durch ein Tor, vor welchem ein schwarzer Sklave in kriegerischer Rüstung mit Bogen Panzer und Schwert bewaffnet saß. Er stand auf, als er den König sah, hörte seine Befehle an und öffnete das Tor. Der König führte mich dann weiter – so erzählte der Einsiedler – bis wir an eine andere Türe kamen, die er selbst öffnete; wir befanden und jetzt in einem alten, zerfallenen Gebäude und traten in ein Gemach, das nur einige Dattelbaumblätter, ein Waschbecken und einen Teppich enthielt. Sobald der König in diesem Zimmer war, warf er sein königliches Gewand von sich, zog ein grobes Oberkleid von weißer Wolle an und bedeckte seinen Kopf mit einer Filzmütze, dann setzte er sich, hieß mich auch sitzen und rief seine Gattin. Als diese erschien und fragte, was er befehle, sagte er: „Weißt du, wer heute unser Gast ist?“ – „Ja wohl,“ antwortete sie, „der Wolkenmann.“ Er sagte dann: „Nun kannst du wieder gehen, du hast Nichts bei ihm zu tun.“ Die Frau war auch in ein grobes wollenes Oberkleid gehüllt; aber ihr Gesicht war schön und leuchtete wie der Mond. Als wir wieder allein waren, fragte mich der König, ob er gleich für mich beten solle, dass ich wieder fortkomme, oder ob er mit zuvor über sein Leben einige Auskunft geben sollte.

Ich bat ihn, mir über seine Umstände Einiges mitzuteilen, und er sprach: „Wisse, mein Vater und Großvater und alle meine Ahnen bis zur frühesten Zeit zurück waren Könige dieses Landes. Als nach dem Tode meines Vaters die Krone mir zufiel, hatte ich keine Freude daran, denn ich hätte vorgezogen, als Einsiedler zu leben. Da ich aber fürchtete, wenn ich mich ganz zurückziehe, möchten Empörungen und Zwist im Lande entstehen, und die heiligen Gesetze nicht mehr geachtet werden und der Glaube untergehen, ließ ich Alles wie es war und stellte Sklaven vor die Tore des Palastes, um die Bösen zu schrecken und zu bestrafen, und zog, wie meine Vorgänger, ein königliches Gewand an. Sobald ich aber mit den Regierungsangelegenheiten zu Ende bin, begebe ich mich hierher und kleide mich, wie du mich jetzt siehst, und lebe hier allein dem Gottesdienste, von meiner frommen Base unterstützt, die du eben hier gesehen. Wir verfertigen des Tages allerlei Arbeit aus diesen Blättern, verkaufen sie, und für das Geld essen wir zur Nacht, den ganzen Tag aber fasten wir; so leben wir schon vierzig Jahre. Bleibe nun bei uns, bis wir die Arbeit verkauft haben, iss mit uns zu Nacht und übernachte bei uns.“ Gegen Abend kam ein Diener und holte die Arbeit, verkaufte sie und kaufte Bohnen dafür, welche unser Nachtessen wurden. Gegen Mitternacht hörte ich dann, wie der König und die Königin aufstanden und beteten. Gegen Morgen sah endlich die Königin, wie sich eine Wolke am Himmel bildete, und sie sagte mir: „Freue dich, unser Gebet ist erhört worden.“ Ich nahm Abschied von ihnen und ging, von meiner Wolke begleitet, fort, und was ich nachher in ihrem Namen von Gott begehrte, wurde mir gewährt.

aus 1001 Nacht 

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