Der Berg Obsute | Ein Märchen aus Japan

Der Berg Obsute - ein Märchen aus Japan
Novellen - Kurzgeschichten - Bücher - Daniela Noitz
 

Vor Zeiten lebte am Fuße eines Berges ein altes Mütterchen mit ihrem Enkel, der ob seiner Gutherzigkeit und Tüchtigkeit im ganzen Dorf hochgeachtet war. Er pflegte sie sehr treu und liebevoll und war allezeit gehorsam und ehrerbietig gegen sie. Nun traf es sich, dass das Dorf in die Gewalt eines unbarmherzigen und unmenschlich grausamen Lehnsherrn kam. Der erließ eines Tages den Befehl an die Dorfleute, sie sollten alle alten Leute auf dem Berg aussetzen und Hungers sterben lassen; denn er meinte, sie seien zu nichts mehr nütze in der Welt und verstünden nichts als Reis zu essen. Den armen Dorfbewohnern blieb nichts übrig, als dem Befehl zu gehorchen, so schrecklich er auch war. Und so stieg das ganze Dorf an dem bestimmten Tage auf den Berg hinauf, überließ dort die armen Alten ihrem Schicksal und kehrte kummervoll heim.

Auch unser altes Mütterchen führte der Enkel mit trauernden Herzen auf den Berg und ließ es dort allein, aber es elend langsam verschmachten zu lassen, das brachte er doch nicht übers Herz. Um Mitternacht desselbigen Tages noch holte er es wieder in sein Haus zurück, und hielt es dort im Keller ganz in der Stille von der Welt verborgen. Täglich brachte er, was es zur Nahrung bedurfte, und mühte sich redlich ab, es ihm an nichts fehlen zu lassen. Der Gutsherr war in der Bosheit seines Herzens entschlossen, die Gemeinde bis aufs Blut zu quälen.

Eines Tages gab er seinen Leuten den närrischen Befehl, ihm an einem bestimmten Tage ein Seil aus Asche zu bringen. Allen schien der Auftrag unausführbar; wie sollte man aus Asche ein Seil machen? In ihrer Ratlosigkeit baten sie den Herrn um Erlass der ganz unmöglichen Arbeit, aber er forderte das Seil nur um so dringender und drohte ihnen schwere Strafe an, wenn sie es nicht bis zur festgesetzten Stunde brächten. In ihrer Angst versammelte sich die ganze Gemeinde im Hause des Enkels und beratschlagte, was zu tun sei, aber kein Ausweg war zu finden. Da erschien plötzlich zu aller Staunen das Mütterchen, das im Keller die Beratung angehört hatte,

Weil bis dahin niemand von seinem Aufenthalt im Keller eine Ahnung gehabt hatte, wunderten sie sich alle aufs äußerste, dass eine so alte Frau der Bosheit des Herrn hatte entzogen werden können, und waren gerührt über die kindliche Liebe und Klugheit des Enkels. Die Alte wieder tröstete sie in ihrer Angst und Sorge, indem sie sagte: „Es ist nichts leichter, als dem Befehl des Herrn nachzukommen. Asche lässt sich zwar nicht zu einem Seile drehen, aber man erhält ohne Mühe ein Seil aus Asche, wenn man ein gewöhnliches Seil im Feuer zu Asche verkohlen lässt.“ Die Leute folgten sofort ihrem klugen Rat und erhielten wirklich das verlangte Seil.

Hocherfreut wählten sie einen aus ihrer Mitte, der es dem Herrn übergeben sollte. Der ging sofort zum Herrenhause und ließ melden, er bringe das gewünschte Seil aus Asche. Verwundert und neugierig, wie sie das Kunststück fertiggebracht hätten, ließ ihn der Herr sogleich vor sich kommen, und der Bote musste ihm den ganzen Hergang erzählen. Das tat er auch mit aller Aufrichtigkeit. Er schilderte ihre Not und Angst und wie sie ganz ratlos gewesen seien, und dass es ihnen niemals möglich gewesen wäre, den Wunsch des Herrn zu erfüllen, wenn nicht die Klugheit der geretteten Alten sie aller Sorgen enthoben hätte. Auch von der wunderbaren Errettung des Mütterchens sprach er ganz offen und rühmte die Liebe und Treue ihres Enkels.

Da gingen dem harten Mann die Augen auf, und er erkannte, wie übereilt er dem Alter seinen Nutzen abgesprochen hatte, und wie töricht und schlecht sein ganzes Verhalten gewesen war. Und er ging in sich und besserte sich und wurde von diesem Tage an, seinen Untergebenen ein gerechter und gütiger Schirmherr.

Märchen aus Japan 

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